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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Leibeigenen.
    »Ein Quorum! Sofort!«
    »Mein Meister, die Brüder, die Oberhäupter Sibylla und Ate-nis sind alle unterwegs nach Naxos«, entgegnete der Leibeigene.
    »Dann rufe die anderen zusammen. Sie müssen herkommen, und zwar sofort«, befahl Imhotep, und Cheftu hörte stählerne Entschlusskraft in seiner Stimme.
    Er sprach und verstand Aztlantu? Cheftu bekam eine Gänsehaut. Er hatte einfach zu sprechen angefangen, indem er die Worte wiederholt hatte, die in stetigem Fluss von der Schriftrolle in seinem Geist gefallen waren. Über die Sprache hatte er sich keinerlei Gedanken gemacht. Wieso er darauf gekommen war, Plato zu zitieren, war ihm unergründlich. Dessen Worte an die Bürger des mythischen Atlantis trafen genau auf diese Kultur und Zeit zu, auch wenn drei Leben vergangen waren, seit Cheftu sie gelesen hatte.
    Endlich drangen Imhoteps Worte zu ihm durch. »Hast, hast du Sibylla gesehen?«, wiederholte Cheftu unwillkürlich. Bestimmt war - bitte, lieber Gott - der Name Sibylla in diesem übers Meer verstreuten Land weit verbreitet.
    »Genau. Oberhaupt der Sippe des Hornes und zugleich ein Orakel.«
    Mon Dieu, bitte nicht! Sie war die erste, die einzige Frau, die er nach einer Liebesnacht kaltschnäuzig verlassen hatte. Sein Magen zog sich zusammen, denn plötzlich bekam er Angst, dass er sein Verhalten noch bereuen würde. »Was für eine Prophezeiung?«, fragte er den Alten, der wieder auf die Liege zurückgesunken war.
    »Die Prophezeiung unseres Untergangs. Nimm die Scheibe«, hauchte Spiralenmeister. »Lass sie keine Sekunde aus den Augen. Sie enthält die gesamte Weisheit dieses Imperiums.«
    Die nächsten Dekane verstrichen für Cheftu wie im Nebel. Er konnte kaum glauben, was er da tat, doch seine Intuition riet ihm, die Ehre, die Position und die Verantwortung zu übernehmen, die Imhotep ihm anbot.
    Er fand sich auf den Knien wieder, umringt von Minos aus dem Kult des Stieres, der Kela-Ata aus der Sippe der Schlange, dem lahmen Talos aus der Sippe der Flamme und vielen anderen, die ihn empört betrachteten. »Dir sei das Leben, das Wohlergehen und der Reichtum der Sippe der Spirale anvertraut«, flüsterte Imhotep. »Ihr Blut sei dein Blut; du sollst ihr Verteidiger und ihr Förderer, ihr Mentor und Oberhaupt sein. Strebe nach Wohlergehen für dein Volk, dein Land und nach der Erhöhung Aztlans. Was sagst du, Cheftu Nechtmer aus der Sippe der Spirale?«
    Jemand reichte Cheftu eine dicke, schwarze Klinge. Sobald er das Gelübde abgelegt hatte, wäre er bis zu seinem Tod an dieses Land und dieses Volk gebunden. Oder bis zu ihrem Tod, korrigierte er voller Trauer. So wie man es ihm zeigte, schnitt sich Cheftu bis aufs Blut, schmierte damit die Klinge auf beiden Seiten ein und strich schließlich das Blut über Imhoteps schlaffen Mund. »Ich schwöre, ihr Verteidiger und Förderer zu sein, ich schwöre, ihr Mentor und Oberhaupt zu sein. Ich schwöre es bei der Spirale und der Krabbe.«
    Er küsste eben die blutigfeuchten Lippen des Mannes, als ein Schrei durch die Kammer gellte.
    »Nein!«
    Alle drehten sich um und sahen einen weißhaarigen Mann mit lavendelfarbigen Augen hereinrennen. Als er die Flecken auf Cheftus und Imhoteps Mund bemerkte, blieb er abrupt stehen.
    »Seid ihr verrückt geworden?«, brüllte er die Versammelten an. »Ich bin der Erbe! Ich kenne Spiralenmeister! Dieser Mann hier, er ist, er ist ...«, stammelte der Flachsschopf, und Spiralenmeister meldete sich leise zu Wort.
    »Niko, begrüße Cheftu, den neuen Spiralenmeister.«
    Cheftu sah, wie das Blut in das Gesicht des Mannes schoss und die Haut bis hinunter auf seine Brust vor Zorn und Scham fleckig wurde. Er grüßte Cheftu mit einem knappen Kopfschütteln. Das ungewohnte Gewicht des Sippensiegels lag wie Blei auf Cheftus Brust, als Niko neben Imhoteps Liege niederkniete. »Mir steht es zu«, flüsterte er. »Die ganzen Sommer über habe ich das geglaubt.«
    »Lass ihn, Niko«, mischte sich ein anderer ein.
    »Spiralenmeister hat entschieden. Du warst niemals zum Erben benannt.« Kurz darauf hatten alle Ratsmitglieder den Raum verlassen.
    Imhotep legte eine zitternde Hand auf Nikos Schulter. »Wir brauchen neues Blut. Neue Ideen, neue Perspektiven. Der Ägypter ist die Antwort auf meine Gebete.«
    Nikos Blick traf auf Cheftus, und Cheftu begriff, dass dieser Mann ihn hasste; schließlich war ihm dieses Amt versprochen gewesen, ehe es jemand weggeschnappt hatte, der kaum ihre Sprache sprach - aber ich spreche ihre Sprache,

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