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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Grün und Braun, der in abweisenden, alles auslöschenden Pinselstrichen über die gesamte Leinwand gelegt worden war.
    Doch dies hier war kein Kunstwerk: Dies war einst eine Insel gewesen. Ein wunderschöner Ort; das wusste sie, weil sie noch einmal Sibyllas Erinnerung durchstöbert hatte. Jetzt - Verwüstung. Was nicht von den Flammen verschlungen worden war, lag einbalsamiert im Schlamm. Die wenigen Anhöhen, die unversehrt geblieben waren, wirkten wie einsame Inseln in einem Meer des Chaos.
    Wie hätte da jemand überleben können?
    Chloe dirigierte die wenigen Männer, die sie hatte bestechen, bezirzen oder dazu erpressen können, ihr zu helfen. Offenbar hielt man in der Antike nicht viel von Rettungshilfe. Die Reaktionen auf eine Katastrophe beschränkten sich auf: »Huch! Die Götter sind wütend geworden. Lieber nicht daran rühren.« Ihr schauderte, wenn sie an die vielen Menschen dachte, die wahrscheinlich irgendwo verschüttet waren und auf Rettung hofften. Ohne ihr Eingreifen würden sie in dieser Hoffnung sterben.
    »Hier drüben«, sagte sie und deutete dabei auf eine kleine, noch existierende Bucht. In gespenstischer Stille kletterten sie aus ihrem kleinen Boot auf den Strand. Dank Sibyllas Erinnerung konnte sie sich ausmalen, wo sie am dringendsten gebraucht wurden. Was von Demeter noch übrig war, befand sich links von ihnen. Ein winziger Pass schnitt durch die Klippen genau vor ihnen. Sie drängte ihre unwilligen Freiwilligen zum Aufbruch, nachdem sie vereinbart hatten, vor Einbruch der Dunkelheit hier wieder zusammenzukommen. Niemand wollte mit den Unbestatteten allein bleiben.
    Chloe packte den jüngsten unter ihnen - er hieß tatsächlich Thom - am Arm und zog ihn in Richtung Demeter davon. Die Bewohner hatten Behausungen errichtet, die wie Vorläufer von modernen Wohnhäusern wirkten. In mehrstöckigen Gebäuden wohnten die Familien, die sich bei den Bauern weiter im Landesinneren verdingten.
    Als hätte man die ganze Stadt mit Zement übergossen, war in Demeter alles in der Bewegung erstarrt. Durch den Schlamm war alles und jedes zu einer Statue geronnen. Chloe schauderte, als sie die eingestürzten Häuser sah. Manche Viertel waren zu flachem, getrocknetem grauen Schlamm eingeebnet worden und wirkten leblos wie ein Betonfundament. Menschliche Körper, grau überzogen, verharrten reglos mitten im Lauf, in der Hocke, liegend.
    Trotz des Sonnenscheins fröstelnd, marschierte Chloe weiter; zu dumm, dass sie keinen Suchhund hatte. Natürlich hatte niemand sie verstanden, als sie diesen Wunsch geäußert hatte. Offenbar standen Hunde auf der karmischen Rangleiter nur unwesentlich über den Wölfen, und nur Irmentis verstand mit ihnen umzugehen.
    Der Mensch hatte seinen besten Freund noch nicht erkannt. Chloe hatte schon die Hoffnung aufgegeben, auch nur einen Überlebenden zu finden, als sie ein Tier kreischen hörte - wie im Zoo.
    Ein Affe?
    Beide blieben stehen; an diesem Ort der Zerstörung wirkte jeder lebendige Laut gespenstisch und unheimlich. Thom rief bereits nach dem Affen und suchte nach ihm. Nicht so kuschelig wie ein Hund, doch dafür sparte man das Gassigehen. Chloe trat an das erste mehrstöckige Gebäude und rief hinauf.
    Der Schlamm war um das Haus herumgeflossen und hatte den beginnenden Brand gelöscht. Ein Teil des Gebäudes war von Feuer und Schlamm verschont geblieben; gab es hier vielleicht Überlebende?
    Chloe rief erneut.
    »Ich«, erwiderte eine dünne Stimme. »Hilfe ...«
    »Thom, hierher!«, rief Chloe, während sie auf die Stimme zuging. Die Lehmziegel fühlten sich an wie aus Beton, und Chloe prüfte den verkohlten Türrahmen aus Holz, ehe sie in das Haus trat. Es war ein unansehnlicher Bau, der nach Urin und altem Fett stank. »Wo bist du?«, rief sie.
    »Hier!«, antwortete die Stimme, und Chloe fürchtete, dass der Besitzer der Stimme zu nah am Tode war, als dass sie ihm noch helfen konnten. Die Stimme schien von oben zu kommen. Chloe biss sich auf die Lippe und probierte die Stufen aus - so weit, so gut. Dann eilte sie aufwärts und fand sich gleich darauf in einem rauchfleckigen Gang wieder. »Ich komme!«, rief sie und lauschte auf die Stimme, die sie führen sollte. Gib nicht auf, dachte Chloe.
    Sie probierte eine Tür aus, dann die nächste. Sie waren kaum zu öffnen, denn die normal breiten Türen waren der Länge nach geteilt, um sicherzugehen, dass sich beide Hälften ineinander fügten. Feuer und Schlamm hatten das Holz anschwellen lassen und die beiden

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