Die Seherin von Knossos
und ich verstehe sie auch fließend, dachte Cheftu.
Imhoteps Atem kam abgehackt und pfeifend. Plötzlich verdrehte er die Augen, sein Blick wurde starr, und er begann zu rucken und zu zucken.
»Seine Reise beginnt«, sagte Niko mit tränenbelegter Stimme. »Kalo taxidi«, flüsterte er. Niko und Cheftu blickten gebannt auf die Liege. Kein Laut, kein Atemzug. »Er hat sich gewandelt und mich schließlich gehasst, glaube ich«, flüsterte Niko. »Wieso? Wieso hat er mir das angetan?«
Cheftu rang mit sich, was er sagen sollte; ob es klug war, überhaupt etwas zu sagen. »Oft wird im Alter der Schild des Taktes zur Seite geworfen, und man spricht genau das aus, was man im Kopf hat.« Er betastete das Siegel um seinen Hals. Was hatte Imhotep da getan? Hatte er Cheftu nur auserwählt, um diesen jungen Mann zu verletzen? Nein, hier ging es um mehr. Er konnte es spüren. »Mein Kummer über deinen Verlust.«
Über die Liege gebeugt, schloss Cheftu die Augen des Alten und betrachtete stirnrunzelnd dessen Miene. Ablehnung, Zorn, Furcht - für alle Zeiten in sein Gesicht eingeschnitten. »Ruf Nekros«, befahl Niko dem Leibeigenen. Cheftu hörte, wie die Tür geschlossen wurde, und machte sich daran, die Hände des Alten in die Begräbnisposition zu zwingen. Schließlich gelang es ihm, sie flach hinzulegen. Aus der Hand des Verblichenen fiel ein Stein.
Er legte ihn auf den Tisch und fuhr dann fort, den Leichnam für denjenigen herzurichten, der hier die Leichen übernahm. Als er den stillen Raum verließ, entdeckte er Niko, der nun im dunklen Gang stand. »Geh hinein und sprich mit ihm«, sagte Cheftu. »Die Toten müssen die Worte hören, die wir sagen müssen, ehe ihre Kas Ruhe finden können.« Kopfschüttelnd trat Niko durch die Tür und zog sie fest hinter sich zu.
Cheftu konnte ihn weinen hören. »Lasst ihn«, befahl er den Dienern. »Jetzt haben wir Zeit.« Die Leibeigenen, SippenAngehörigen und die Kela-Tenata zogen sich zurück. Cheftu warf einen letzten Blick auf die Tür; doch zum Trauern blieb man am besten allein.
»Soll ich dich in dein Laboratorium bringen, Spiral enmei-ster?«, fragte ein Leibeigener. Cheftu sah ihn verdutzt an, dann fiel ihm ein, dass er jetzt Spiralenmeister war. Er wollte schon nicken, dann besann er sich und schüttelte zustimmend den Kopf.
Niko starrte in das Gesicht des Mannes, der sein Vater, sein Mentor, sein Führer, sein Idol gewesen war. Der ihn betrogen hatte, indem er einen anderen gewählt hatte. Was wusste dieser Cheftu von den Geheimnissen Aztlans? Wusste er Bescheid über die Formeln und die Mächte, die von den Skolomantikern kontrolliert wurden? »Wieso nicht ich?«, flüsterte Niko gegen das Gesicht des Leichnams. »Was habe ich falsch gemacht?«
Niko ließ sich auf dem Rand der Liege nieder und blickte sich im Raum um, als sein Blick plötzlich auf den Tisch fiel. Der Stein! Der neue Spiralenmeister wusste nichts von den Steinen! Niko hob den schwarzen Stein auf und sah sich hektisch nach dem weißen um. Dort! Unter dem Rand der Liege. Er hatte sie alle beide. Sie schienen seine Hände zu versengen.
Die Männer aus der Sippe des Steines trafen kurz darauf ein, um Spiralenmeisters Leiche zu präparieren. Erst nahm ein Künstler neben dem Toten Platz und breitete eine dünne Goldfolie über Imhoteps Gesicht. Er sah zu Niko auf. »Wollte Spiralenmeister auf Paros oder im Land der Pharaos bestattet werden?«
Oft hatten sie darüber gesprochen, entsann sich Niko. Imhotep liebte Aztlan und hatte auch sein Leben hier verbracht, dennoch hatte er gewünscht, einst bei seinen Vorfahren in einem ägyptischen Grab zu liegen.
Niko lächelte. »Er hat sich ein aztlantisches Begräbnis gewünscht, doch er wollte, dass sein Leichnam vor der Beisetzung verbrannt wird.« Der Künstler war entsetzt, doch er machte sich wieder an die penible Arbeit, die goldene Folie dem Gesicht des Mannes anzupassen, um Imhoteps Haupt einen Eindruck von Leben abzuringen.
Nun, wie gefällt es dir, wenn man deine Wünsche und Bedürfnisse mit Füßen tritt?, dachte Niko, während seine Finger die Steine liebkosten. Auch wenn der Spiralenmeister ihn betrogen hatte, so wusste der Ägypter doch nichts von den Steinen. Imhoteps Wünschen zum Trotz würde Niko seine Macht erben.
Er verschwand aus dem Raum; er musste sich mit Phoebus treffen.
Chloe schaffte es nicht, den Blick abzuwenden. Sie hatte Werke von modernen Künstlern gesehen, die ähnlich aussahen -ein grauer Brei mit Nuancen in matschigem
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