Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
sollst ihr Verteidiger und Förderer, ihr Mentor und Oberhaupt sein. Strebe nach Wohlergehen für dein Volk wie für dein Land und nach Erhöhung Aztlans.«
    Dion starrte ihre nackten Füße an, die scharlachrot angemalten Zehenspitzen.
    »Was sagst du, Dion Dionysus aus der Sippe des Rebstocks?«
    Er tastete nach der Klinge an seinem Gurt. Er hatte schon viele Gelübde abgelegt und gebrochen. Doch nie hatte er eines mit Blut besiegelt. Diese Geste würde sein Leben unwiderruflich verändern. Er stand auf und zog das Messer in einem flammendheißen Schnitt über seine Handfläche. Doch das Brennen war nichts im Vergleich zu den Flammen, die sein Land verschlungen hatten. Er rieb beide Seiten der schwarzen Klinge mit Blut ein und fuhr dann mit einem blutigen Finger über Selenas trockene Lippen. »Ich schwöre, ihr Verteidiger und Förderer zu sein, ich schwöre, ihr Mentor und Oberhaupt zu sein. Ich schwöre es beim Dreizack und beim Rebstock.«
    Nachdem er auch seine Lippen mit Blut beschmiert hatte, küssten er und Selena sich. Ein heiliges Gelübde; sie konnte ihn jederzeit zur Rechenschaft ziehen, sie wäre sein Gewissen. Sie schlug seine Hand in Leinen, während er die Klinge sauberwusch.
    »Möge die Gnade Kelas dich leiten, bis meine Augen dich wieder erblicken«, sagte sie, während er bereits durch den Gang davoneilte, um ein Schiff zu besteigen.
    Spiralmeister bemühte sich um äußerste Vorsicht, während er mit abgestütztem Arm seine Hände dazu zwang, die Flüssigkeiten und Pulver genau abzumessen. Die Scheibenschale war flach und rund, eine in Aztlan weit verbreitete Form. Die Jahreskarten wurden auf derartigen Scheiben aufgezeichnet, durch in Lehm gedrückte Kacheln. Astrologische Karten, Bauernhandbücher und schlichte Dinge wie Kochrezepte wurden auf diese Weise festgehalten. Diese Scheibe war ebenfalls eine Art Kochrezept, dachte er, und laEine Kochrezept für das Leben. Seine Augen füllten sich mit Tränen, bis die Zeichen für Mensch, Pflanze und Tier ver-schwammen. Für so viele war es zu spät; und auch Zelos stand das Ende bevor. Wie sehr hatte Spiralenmeister gehofft, noch eingreifen zu können. Vielleicht hatte Apis seine Absichten durchschaut und sie deswegen mit der Seuche geschlagen?
    Doch es war keine Seuche. Sie schlug nicht wahllos zu, sie schien auch nicht ansteckend zu sein. Sie befiel ausschließlich Zelos Hekatai, die Sippe der Olympier. Wer wusste, wie viele Skolomantiker sie bereits in sich trugen? Er dachte an jene, die ihm wie Söhne gewesen waren. Waren sie krank? Würden sie überleben und Aztlan in eine neue Zeit führen können?
    Mit einem Muskelzucken drehte sich Spiralenmeister zu dem Tisch um, auf dem die Tafel ruhte. Dort hatte er inmitten der Zeichen des Himmels, der sich am Ende des Großen Jahres und durch die Jahreszeiten zeigen würde, die Formel versteckt. Seine Hinterlassenschaft an Aztlan.
    Wer konnte ihm nachfolgen?
    Wem konnte er dies anvertrauen? Wer war keiner Sippe verpflichtet, wer hatte in den inneren Turbulenzen des Imperiums nichts zu verlieren? Er drehte das Rad erneut und drückte mit gichtigen Fingern mühsam die Zeichen in den trockenen Lehm.
    »Mein Meister?«, fragte eine Frau.
    Spiralenmeister schickte die Kela-Tenata fort. Sie ging nur widerwillig und mit der Warnung, ihm würde noch etwas zustoßen. Dumme Nymphe, erkannte sie nicht, dass er diesen Tag nicht überleben würde? Er drückte die Zeichen weiter ein.
    An seiner Schärpe herumnestelnd, zog Imhotep die Steine heraus. Mit bebenden Fingern stellte er die Frage, die ihm keine Ruhe ließ, dann warf er die Steine. Seine rheumatischen Augen vermochten den hektisch aufblinkenden Buchstaben nicht zu folgen. Doch er spürte, wie sie seine Seele durchdrangen.
    »F-L-I-E-H-T-Z-E-R-S-T-Ö-R-U-N-G.«
    Seine flatternden Hände hielten die Steine an, woraufhin einer über den Boden davonflutschte, während er den anderen fest in der Faust hielt.
    »Mein Meister?«, fragte eine fremde Stimme.
    Imhotep schreckte auf und löste seine Finger gerade noch rechtzeitig, um die Scheibe nicht zu zerstören. »Was willst du?«, fragte er mit einem wütenden Blick über die Schulter.
    Ein Ägypter stand hinter ihm.
    Imhotep hatte schöne Erinnerungen an Ägypten, eine Welt, die der von ihm gewählten so ähnlich und doch so fremd war. Die jungfräulich weißen Kleider und die ordentlichen Gemälde seiner Kindheit standen in krassem Gegensatz zu dem Chaos der aztlantischen Kunst und Kleidung. Dort die vielen

Weitere Kostenlose Bücher