Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
hundertmal, tausendmal überquert. Der Weg war sicher und nicht allzu lang. Zu ihrer Linken konnte sie die Landbrücke sehen, einen breiteren, mit Oliven und Wein bewachsenen Weg. Warum
    gingen sie nicht dort hinüber?
    »Herrin?«, erkundigte sich Thom. »Ist etwas?«
    Eigentlich nichts, nur dass ich nicht deine Herrin bin und dass diese Brücke mir mehr Angst macht als alles, was auf irgendeinem Jahrmarkt steht, dachte Chloe. Sie richtete sich auf und wagte einen ersten Schritt. Die Brücke fühlte sich fast stabil an, wenn sie auch nicht wusste, wie das vor der Erfindung von Beton und Stahl möglich war. Frag nicht, geh einfach los, ermahnte sie sich. Schau nach vorne, und um Himmels willen schau nicht nach unten!
    Sie heftete den Blick auf den Rücken des Fremden vor ihr und setzte einen Fuss vor den anderen, während ihre Hand mit aller Kraft das Geländer umklammerte. Plötzlich hörte sie Rufe von vorne und befürchtete das Schlimmste.
    Zwei Kinder, die offenbar Fangen spielten, rannten an ihr vorbei und schubsten Chloe dabei gegen das Geländer. Panisch hielt sie sich mit der zweiten Hand ein. Schreie gellten in ihren Ohren, als ihr Fuß ausglitt und vierhundert Meter über dem schäumenden Wasser in der Luft baumelte. Sie spürte, wie ihr fremde Hände aufzuhelfen versuchten, und nahm wie durch einen Nebel die Menschen um sie herum wahr, dennoch schaffte sie es nicht, den Blick von ihrem im freien Raum schwebenden, dreckigen Fuß in seiner Knöchelsandale loszureißen.
    Eine Hand packte sie um den Bauch herum am Handgelenk und zerrte sie wieder hoch. Schau auf das Ende und nirgendwo sonst hin, zischte sie sich selbst zu. Aus der Hand, die sie um Thoms Arm klammerte, ragten weiß die Knöchel hervor. Dann standen sie wieder auf festem Boden. Auf der Insel Aztlan, Sibyllas Heimatinsel, dachte sie. Sibylla machte sich in ihr bemerkbar. Doch das Orakel meldete sich immer seltener . Chloe vermutete, dass sie mit ihren Übergriffen auf das Gedächtnis der anderen deren Kraft aussaugte. Was war mit dem Rest Sibyllas, jenem Teil, der irgendwo eine virtuelle Cocktailparty besucht hatte, als Chloe ihren Körper übernahm? War der in der Höhle geblieben?
    Während sie auf den riesigen Palast mit seinen vielen Schattierungen zuschritten, musste sich Chloe immer wieder ermahnen, hinzusehen, wenn sie Sibyllas Namen hörte. Männer, Frauen, meist Mitglieder ihrer Sippe, riefen ihr Grüße zu. Sie sah sich aus dem Augenwinkel um, während sie zugleich einem ausführlichen Bericht über irgendwelche Kühe lauschte, die nicht fressen wollten und sich nicht mehr zurechtfanden. Dann sah Chloe, wie dieser atemberaubende Kerl, Dion, auf sie zukam.
    Nach einer überschwänglichen Begrüßung und einer ausgiebigen Musterung des sofort errötenden Thoms wurde Chloe zu ihrer Überraschung auf ein Fest eingeladen. Ein Fest zu Ehren des neuen Spiralenmeisters.
    Überschwängliche Freude wallte in Chloe auf. Noch nie hatte Scarlett O’Haras »morgen« so gut geklungen.
    Chloe erwachte in einem weiß umhüllten Raum. Nicht schon wieder. Nicht schon wieder ein weißer Raum, der sich in weiß Gott welchem Zeitalter befand. Schnell sah sie an sich herab: dasselbe lange Haar. Sie war gestern Abend früh zu Bett gegangen, weil sie gehofft hatte, dass dadurch der nächste Tag schneller hier eintreffen würde.
    Wo auch immer hier war. Sie war überzeugt, dass sie das noch wusste.
    Cheftu befand sich irgendwo auf dieser Insel; sie wollte ihn auf keinen Fall verpassen.
    Ihr Zimmer war geräumig und hatte viele Fenster. Mit klopfendem Herzen nach den kurzen, grauenvollen Sekunden, in denen sie befürchtet hatte, in ihre eigene Zeit zurückgekehrt zu sein, schlüpfte sie unter der weichen Decke hervor und lief ans Fenster. Der Blick auf die Pyramide, das Meer, die miteinander verbundenen Inseln war umwerfend.
    Atemberaubend und absolut fremdartig.
    Auf keinen Fall war sie hier bei den Minoern, womit ihr nur wenig Auswahl unter den ihr bekannten Kulturen blieb.
    Genau vor ihr stand ein weiteres Gebäude mit Flachdach und roten Säulen. Üppige Reben bedeckten den Boden und hingen von den vielen rechteckigen Durchgängen herab, die diesen Bau mit anderen Gebäuden verbanden. Als Chloe jemanden ins Zimmer kommen hörte, drehte sie sich um.
    »Ein Bad, bitte«, antwortete sie auf die Nachfrage der Leibeigenen. Die Sonne stieg eben über den Bauwerken auf. Ein unglaubliches Licht, dachte Chloe. Sie war ganz eindeutig in Griechenland. Das Licht war

Weitere Kostenlose Bücher