Die Seherin von Knossos
ihr einen vernichtenden Schlag versetzt; sie würde bestimmt nie wieder mit ihm sprechen.
Entweder das, oder er musste sie aus diesem Käfig voller eitler Pfauen in den erstbesten Garten schleifen, den er entdeckte, und dort ... Er kippte den Wein hinunter.
»Du hast also meinen Freund Niko ausgespielt«, sagte eine schleppende Stimme. Cheftu wandte sich zu einem scharfge-sichtigen Blonden um, der schon einige Becher intus zu haben schien. Ein kurzer Blick auf seinen Hals verriet Cheftu, dass dies Phoebus, der Aufsteigende Goldene war.
»Es war Imhoteps Entscheidung«, erwiderte Cheftu.
»Und dir stand es frei, die Entscheidung anzunehmen«, ent-gegnete Phoebus.
»Ja. Aus den Gründen, die Imhotep angeführt hat, hatte ich das Gefühl, der Richtige zu sein.«
Phoebus küsste ein rothaariges Mädchen auf den Mund und ließ sich dann den Becher nachfüllen, ehe er die junge Frau mit einem Fingerschnippen entließ. »Die Krankheit des Hekatai?«
»Genau.« Cheftu sah den jungen Mann an. »Ich habe gehört, du hast einige der Kranken sterben sehen?«
Phoebus schauderte. »Ein grauenvoller Tod. Oft wird ja der Beginn einer Geistesreise zu einem freudigen Ereignis. Diese jedoch waren . widerwärtig«, antwortete er nach kurzem Nachdenken. Musik und Lärm verstummten, und Phoebus blickte zu einer geschlossenen Doppeltür hinüber. »Ileana und
ihre großen Auftritte«, knurrte er.
Die Doppeltür flog auf, und Pfauen mit aufgestelltem Rad stolzierten in den Raum. Eine hohe Stimme verkündete singend die Ankunft von Hreesos Zelos sowie Kela-Ileanas. Alle, ausgenommen Phoebus, erhoben Arme und Hände, um die Herrscher der Sippe der Olympier, die Stellvertreter der Götter auf Erden, zu begrüßen. Als die beiden näher kamen, hob schließlich auch Phoebus seine Hand.
»Dich also hat Imhotep erwählt«, verkündete Zelos schroff. Er war ein eindrucksvoller Mann, groß, mit Fassbauch, langem, immer noch blondem Haar und kornblumenblauen, stechenden Augen. Cheftu bestätigte, so sei es, und sah dann zu Ileana hin. Sie maß ihn mit Blicken, bis er sich vorkam wie ein Beerenstrauch vor einer hungrigen Kuh. Das Paar schritt weiter, und die Menschen in ihrem Kielwasser entspannten sich wieder.
Dion setzte sich neben ihn, begrüßte Phoebus und erkundigte sich nach Niko. Mit einem Blick auf Cheftu antwortete Phoebus, Niko wolle allein sein und einige Zeit meditieren. Wahrscheinlich sei er im Tempel. Das Festmahl wurde serviert, größtenteils noch ungeschält, und Cheftu speiste schweigend, während die beiden über Dions Flugsegel plauderten. Cheftus Augen hielten rastlos nach Sibylla Ausschau, bis Dions Worte ihn aufhorchen ließen.
»Glaubst du, Sibylla läuft?«, fragte Dion Phoebus.
»Ich habe gehört, sie übt bereits.« Phoebus schleckte sich die Finger ab.
»Du solltest sie sehen«, murmelte Dion. Er schlug Cheftu auf den Rücken. »Unser ägyptischer Freund wurde bereits von Vena erlegt -«
»Ein Ritual hier in Aztlan«, fiel ihm Phoebus ins Wort. »Vena bietet jedem Neuankömmling ihre Reize an. Wir sollten sie auf die Wellenbrecherinseln schicken, damit sie den vorbeiziehenden Schiffen dienen kann!« Dion lachte, und Cheftu rang sich ein Lächeln ab. »Was hast du da eben von Sibylla er-zählt?«, fragte Phoebus Dion, als beide sich wieder beruhigt hatten.
»Ich weiß, dass dir immer nur Irmentis am Herzen lag -«
Phoebus’ Gesicht verdüsterte sich.
»Das tut nichts zur Sache.«
»Nun, also, Sibylla ist in der vergangenen Zeit der Schlange sehr gereift. Du würdest sie nicht wiedererkennen. Sie ist wunderschön geworden.«
»Sibylla war schon immer wunderschön«, widersprach Phoebus.
»Doch mittlerweile ist da noch mehr«, sinnierte Dion. »Ich stehe ihr von allen Männern am nächsten, und ich habe keinen Zweifel daran.«
»Du wünschst dir nur, du wärst nicht so gut mit ihr befreundet und könntest sie pflügen«, meinte Phoebus.
Dion zuckte mit den Achseln, und Cheftu ballte die Fäuste. Sie unterhielten sich über Sibylla, als wäre sie ein Stück Land! Eine Ziege, um die man feilschen konnte! »Es mangelt ihr«, schränkte Dion langsam ein, »an manchen Dingen, die ich anziehend finde.« Sein Blick traf auf Cheftus, und Cheftu wandte den Kopf ab. Im Geist sah er Dion und Sibylla ineinander verschränkt, keuchend und schweißgebadet .
»Sieh sie an!«, Dion stupste ihn in die Rippen und trübte damit den Fluss seiner Gedanken. Es war dieselbe Tänzerin, die Nestor Senwosret hatte schenken
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