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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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drauflos. »Neunte Klasse. Anatomie. Das Gehirn ist der Sitz des Zentralnervensystems und kontrolliert damit die motorischen Fähigkeiten, Koordination ...« Er spürte ihren Fuß, der gegen sein Schienbein klopfte. »Verdammt, es ist mir entfallen! Aber Cheftu, hast du nicht gesagt, die Symptome seien Sprachverlust und die Unfähigkeit zu schlucken? Sie können nicht mehr laufen, sie stolpern. Weist das nicht auf das Zentralnervensystem hin?«
    »Schon«, antwortete er gedehnt.
    »Genau, aber das sitzt nicht vorn im Gehirn, sondern hinten. Hast du - o Gott, ist das eklig - hast du alles rausgeholt?«
    »Du, ma chérie, bist brillant!«, lobte er sie, küsste sie auf den Kopf und sprang von der Liege. Er schnippte nach den Leibeigenen, schickte eine Nachricht an Nestor, und war kurz darauf im Laufschritt zu seinem Laboratorium unterwegs.
    Nestor gesellte sich zu ihm, und Cheftu hielt ihm einen körperlosen Kopf hin. »Wie kommen wir hinten ins Gehirn?«, fragte er. Nestor blinzelte, rieb sich die Augen und zeigte Cheftu die zerbrechlicheren Bereiche des Schädels an.
    Es bedurfte einiger Kraft, ihn aufzubrechen, doch Cheftu ließ nicht ab, ehe er an den hinteren Teil des Gehirns gelangt war. Er verzog das Gesicht, als er sah, wie unsauber er bei der Entfernung des Großhirns gearbeitet hatte, doch das Kleinhirn war noch intakt. Behutsam zogen er und Nestor es heraus, legten es auf den Tisch und umstellten es mit Öllampen.
    Nachdem sie den hinteren Bereich in zwei Teile geschnitten hatten, begannen sie mit der Untersuchung. Cheftu prüfte lange und mit festem Blick, verschob dabei das Fleisch oder das Licht, suchte nach Unregelmäßigkeiten im Gewebe, schnitt es in immer dünnere Scheiben. Die Struktur blieb gleich, bis sie ins Innerste gelangten.
    »Nestor.«
    Kleine schwarze Tupfen durchzogen die Masse. Mit bebenden Händen hob Cheftu die hauchdünne Probe hoch, um sie besser untersuchen zu können. Nestor schaute über seine Schulter und hob dabei die Lampe an, sodass ein Schatten auf den Tisch fiel.
    »Siehst du, was ich sehe?«, fragte Nestor nach einer Weile.
    Cheftu blickte auf die schwarzen Tupfen und versuchte zu erkennen, was sonst noch auffällig sein könnte. Dann drehte er sich zu Nestor um und erkannte, dass der junge Mann nicht auf das Gewebe, sondern auf den Tisch blickte.
    Hundert stecknadelgroße Lichtpunkte leuchteten durch das dünne Fleisch, mit bloßem Auge nicht sichtbar, doch im Schatten gut auszumachen.
    Das Gehirn hatte Löcher. Mon Dieu!
    Auch ohne dass sie sich umdrehte, wusste Chloe, dass sie Kopf an Kopf mit Selena lief; sie konnte den Atem der anderen auf ihrem Arm spüren. Die Ziellinie lag vor ihnen, hinter einer kleinen Erhebung, deshalb warf Chloe den Kopf zurück und nahm den Hügel, als würde sie eine Treppe hochhecheln, ohne dass ihre Absätze den Boden berührten.
    So wie Atenis es ihr beigebracht hatte, raste sie über den Hügel und donnerte in vollem Lauf durch die am Ziel wartenden Nymphen. Selena war zwei Schritte hinter ihr, und keuchend und schwitzend fielen sie sich in die Arme.
    Es war verflucht heiß, sechs Tage vor dem Beginn des Sonnwendfestes etwa am neunzehnten Juni, dachte Chloe. Die Erde bebte, doch niemand unterbrach deswegen auch nur sein Gespräch. Der Berg Krion hatte mehrmals Rauchwolken ausgestoßen, der Berg Apollo hatte Asche auf Daphne herabregnen lassen, doch die Aztlantu hatten sich inzwischen an die häufigen Unterbrechungen gewöhnt. Dafür, dass man in einem Land lebte, wo der Boden so fruchtbar war und Magmakammern das Badewasser erhitzten, nahm man ein wenig Asche in Kauf.
    Heute Abend fand das Eröffnungsfest für die vierzehn Tage dauernden Feierlichkeiten statt, und heute war für Chloe der letzte Übungstag vor dem Rennen. Ihr Körper und Geist brauchten Ruhe zur Vorbereitung, meinte Atenis. Mein Körper braucht ein paar Tage, um mir zu vergeben, was ich ihm angetan habe, dachte Chloe trocken. Allerdings waren die Veränderungen unübersehbar. Dünn war sie schon immer gewesen, doch jetzt war sie durchtrainiert. Nichts wackelte mehr an ihr außer ihren Brüsten, ein Umstand, für den Cheftu jeden Abend dankbar war. Sie lächelte. Es war schön, am Leben zu sein.
    Der Boden zuckte ein weiteres Mal, und sie machte sich gemeinsam mit Selena auf den Rückweg zum Palast. Während sie durch den Wohnflügel in Richtung der Skolomantie wanderten, bewunderte sie die Wandgemälde.

Selena bog zu Kelas Tempel ab, und Chloe ging weiter zu Cheftus

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