Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
Vom Netzwerk:
nicht tot war, sondern sich nur versteckt hatte. Er hegte keinen Groll auf sie; er wünschte, sie würde in dieser Grotte auf ihn warten.
    Bring uns neues Leben!
    Im Rausch der Empfängnis erneuern wir dich,
    Herrin der Tiere, des Schmetterlings, der Schlangen.
    Als dein Körper dient sie dir.
    Langsam wurde Phoebus durch den schmalen Eingangstunnel nach vorne geschoben. Schweiß überzog seinen Hals und seinen Rücken, die Luft wurde stickiger, die leichten Berührungen auf seiner Haut wurden kecker. Die Beleuchtung bestand nur noch aus winzigen Lichtpünktchen in einem grauen, erstickenden Tuch von Dunkelheit. Noch nie hatte er so gegen den Wunsch zu fliehen ankämpfen müssen. Noch nie hatte er sich so einsam gefühlt - von allen Menschen abgesondert, jedes Schutzes entblößt, den sein Name und sein Rang sonst boten. Hier war er ein Bittsteller, ein Hengst, der nur einem einzigen Zweck diente. Seine Eitelkeit schob ihn vorwärts durch die Menge der lauten, sich wiegenden Weiber.
    Sein Pateeras hatte das mit Rhea getan. So war es bei den Olympiern Brauch. Der Frühling kehrte zurück und befruchtete die urbare Erde. Hatte er das Recht, die Tradition zu verändern? Den Kreis zu brechen? Mit Sibylla wird mir die Erneuerung Freude bereiten, dachte er. Ileana ist das Gift der Schnek-kenmuschel, doch mit einer anderen Frau werde ich der Sippe zu aller Zufriedenheit dienen.
    Phoebus’ Kopf wurde schwer, sein Hals so schwach wie ein Blumenstängel. Er spürte, wie die Hand der neuen Kela-Ata auf seiner Schulter ihn eine schmale Treppe hinabführte. Die Frauenstimmen waren dunkler, sinnlicher geworden, und er meinte beinahe zu spüren, wie sich unter seinen Füßen der Puls von Mutter Erde beschleunigte.
    So wie der Frühling in frohen Farben erscheint,
    Möge das Leben erneut mit des Samens Quell beginnen.
    Phoebus strauchelte, und die Priesterin hielt ihn an der Taille fest. »Das ist der Mohn«, sagte sie. Aus der Mohnkapselkrone über ihrer Stirn kräuselten Tentakel von Opiumrauch auf. Sie stiegen wieder auf - ob langsam oder schnell, vermochte Phoebus nicht mehr zu sagen -, bis sie auf einem Felsbalkon ankamen. Frauen umringten ihn, um ihm zuzusehen, ekstatisch vor Neugier und laut singend.
    Die Wirkung des Mohns erlosch, sowie er sie erblickte. Sein Fleisch schreckte vor ihr zurück; er schaffte das nicht. Nicht einmal aus Rache wollte er seinen Leib mit der Mörderin seiner Mutter vereinen! Er ließ sich von der Priesterin einen Batzen Gummi geben und kaute ihn. Das intensive Zimtaroma konnte die darunter liegende Bitterkeit nicht übertünchen.
    Wir greifen die Wurzel der Schöpfung!
    Und fließen mit dem Bronn des Lebens!
    Sie saß auf einem Felsenthron.
    Kunstvoll gemalte Hochzeitsornamente glänzten auf ihren Brüsten und ihrem Rumpf. Ein Diadem aus Mohn und Granatapfel krönte ihre Stirn, halb verdeckt von einer Locke ihres korngoldenen Haares, die auf die makellos rosige Haut ihrer Wangen fiel. Das übrige Haar strömte ungebändigt über ihren
    Leib, ein Fluss aus Gold und Silber. Sie trug nichts als einen mehrlagigen Rock, der von ihrer schmalen Taille aus bis auf den Boden fiel.
    Er starrte sie an. Seine Stiefmutter, Ileana, ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn erkannte.
    Die Kela-Ata trat mit erhobenen Händen vor und ließ ihre rauchige Stimme durch die enge, giftgeschwängerte Höhle pulsieren. Schlangen wanden sich um ihre Arme und ihren Hals. Er sah, wie zwei Frauen - Vena und Atenis, wie er glaubte -vortraten und Ileanas Beine hochnahmen, um ihren Unterleib nach vorne an die Kante der steinernen Sitzfläche zu ziehen und ihre Knie über zwei Stalagmiten gegenüber dem Thron zu legen.
    Endlich nahmen sie ihren Rock ab und entblößten Ileana seinen Blicken ganz. In rituellen Bewegungen rieben sie die Muttergöttin mit Ölen und Parfümen ein.
    Die Hohepriesterin bat Kela um eine gute Ernte, Wohlstand, Sieg und Fruchtbarkeit.
    Ileana sah zu ihm auf; ihre Augen waren blaue Teiche, ihre Pupillen kaum noch auszumachen. Dennoch blieb in ihrem Blick genug, um ihn zu versengen.
    Bist du nicht Manns genug? Zelos würde vor Scham über deine Schwäche weinen. Du bist kein würdiger Goldener.
    Sie verkörperte die nährende Muttergöttin, doch in ihrem giftigen Blick tanzte nichts als Verachtung.
    Phoebus merkte, wie sein Entschluss fester wurde, und trat vor. Er wusste nicht, wo seine Kleider abgeblieben waren, doch das tat nichts zur Sache. Er hatte nur noch den einen Wunsch, dieses affektierte Lächeln

Weitere Kostenlose Bücher