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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Einhalt zu gebieten, nicht ohne dass sie die vielen Rituale änderten, bei denen hier Hirn gegessen wurde. Wenn sie sich dazu durchrangen, stattdessen die Lunge zu essen, hätte das dann dieselben Folgen? War es ihnen allen vorbestimmt zu sterben? Und wenn ja, warum?
    Cheftu hielt den Kannibalismus der Aztlantu für eine wahr-haft widerwärtige Tradition. Doch le bon Dieu war weitaus gnädiger und nachsichtiger. Diese Seuche war keine Strafe; vielleicht war es eine innere Konsequenz? Weshalb war er hier? Weil Chloe ebenfalls hier war? Und weshalb war sie hier?
    Es ergab alles keinen Sinn; sein Hirn war wie mit Asche überzogen.
    »Nun, Ägypter, was würde dich denn glücklich machen?«
    Der aus Dions Worten klingende Humor ließ Cheftu unwillkürlich grinsen. »Die Geheimnisse des Universums zu kennen? Die Gedanken der Götter zu lesen? Ewig zu leben?«
    »Geheimnisse gibt es zu viele, um alle zu kennen«, widersprach Cheftu. »Die Gedanken der Götter würden mich in Angst und Schrecken versetzen. Und ewig zu leben klingt ermüdend.«
    Seiner ausweichenden Antwort zum Trotz wusste er, wenn Chloe ihn gefragt hätte und ihre Augen mit unermüdlicher Neugier sich in seine gebohrt hätten, hätte er sich ihr entblößt und ihr jene Wünsche verraten, die er tief in seinem Herzen hegte.
    Eine der Frauen begann, seine Füße und Waden zu massieren. Ihre Berührung ließ sich nicht mit Chloes vergleichen, darum schickte er sie freundlich wieder fort.
    Dion beobachtete ihn mit wissendem, dunklem Blick.
    Entnervt erhob sich Cheftu und spazierte zum Bug. Folegan-dros teilte einen schmalen Kanal mit Nios, dem Kult der Schlange. Der Berg Krion befand sich am südöstlichen Ende der Insel, sodass die grün bewachsenen Berghänge vom Schiff aus zu sehen waren.
    »Es ist also sicher?« Cheftu wies auf den Gipfel.
    Nestor seufzte. »Ja, wenigstens behaupten das die Priester. Sie studieren die Nüstern schon seit Generationen, eigentlich müssten sie es wissen.«
    Hreesos’ Schiff legte als Erstes an, und als Cheftu aufsah, erkannte er, dass der Zickzackpfad zum Gipfel eng mit Menschen bestanden war. Bis hierher konnte er den leisen »Phoe-bus, Hreesos, Phoebus, Hreesos«-Gesang hören. Als Nächstes legte das Schiff mit den Opfergaben an: Ziegen, Schafe, Widder und ein Apis-Stier.
    Phoebus stieg in einen Tragsessel, und der ihn begleitende Knabe mit der Jugendlocke ließ sich mit Niko in einer zweiten Sänfte nieder. Ein Trupp von Leibgardisten folgte ihnen in schnellem Schritt, dahinter kamen die Ratsmitglieder, deren Begleitung Phoebus sich erbeten hatte.
    »Können wir gehen?«, fragte Cheftu.
    Dion zuckte mit den Achseln, woraufhin Cheftu und Nestor ein kleines Boot ans Ufer nahmen, um sich unter die Menge der Nachzügler zu mischen, die Hreesos zum Gipfel folgten.
    Der Berg Krion war einer der höchsten Gipfel im Imperium. Er erhob sich 7.400 Ellen hoch, einer dunklen Pyramide vor dem blauen Himmel gleich. Cheftu, der sich unbekümmert und ungemein lebendig fühlte, lehnte einen Tragsessel ab und machte sich zu Fuß auf den Marsch. Das Ritual verlangte, dass Phoebus allein am Kraterrand stand. Das gesamte Gefolge würde an den Hängen warten müssen.
    Die Sonne stand hoch am Himmel, bis Cheftu und Nestor die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten. Viele der Frauen und eine ganze Reihe von Höflingen hatten inzwischen aufgegeben und zogen es vor, mit einem Rhyton Wein im Schatten zu warten, statt die Wanderung fortzusetzen. Ein paar Stunden später entschied sich Nestor ebenfalls zu warten. Cheftu marschierte alleine weiter. Die Tragsessel waren ihm weit voraus, und hinter ihm schien niemand zu folgen. Der Wind wehte kräftiger und so kalt, dass der Schweiß auf seiner Stirn und seinem Rük-ken gekühlt wurde. Cheftu schob sein leichtes Bibbern auf das Wetter und marschierte weiter.
    Die Sonne befand sich schon auf dem Weg nach Westen, als Cheftu Schritte hinter sich hörte. Er blieb auf dem schmalen
    Pfad stehen und schaute zurück. Eine Frau folgte ihm, allein und mit langbeinigen, weiten Schritten, bei denen das Blut in seinen Kopf und seine Lenden schoss. Ob Ägypterin oder Aztlantu, sie war ihm eine Seelenverwandte. Auch wenn ihr das schwarze Haar inzwischen bis auf den Rücken reichte und ihre Kleidung auf schamlose Weise offenherzig war, war sie Chloe. Sie gehörte zu ihm, in jeder Verkleidung. Würde sie ihm vergeben?
    Würde er ihr vergeben?
    Als sie zwei Haarnadelkehren unter ihm um die Kurve bog, spürte Cheftu die

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