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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Zeit wie
    Meerwasser zwischen den Fingern zerrann. Heute fühlte er sich gut, wofür er Gott dankte, denn es gab so viel zu tun.
    Die Schüler suchten nach jenen, die überleben würden. Vorgeblich sollten jene, die sie fragten, zur Pyramide gebracht werden, um dort ihr Stieropfer zu erhalten. Cheftu wählte nur jene aus, die dagegen protestierten, die aus eigenem Entschluss kein Stierfleisch gegessen hatten, weil sie die Vorstellung widerwärtig fanden.
    Bei denen stand zu hoffen, dass sie es noch widerwärtiger finden würden, sich gegenseitig zu verspeisen.
    Cheftu war erstaunt über die Verwahrlosung hinter den Palästen und Villen der Reichen. In offenen Gräben sammelten sich Abwässer, und das verdorbene Essen, von dem sich die halb verhungerten, aufgegebenen Kinder und Erwachsenen von Azt-lan ernährten, war schwarz von Fliegen.
    Diese Menschen durften die Straßen nicht betreten, und auf den Feldern und Pfaden durften sie sich erst nach Einbruch der Dunkelheit zeigen. Alle religiösen Rituale blieben ihnen verwehrt; sie waren absolut und vollkommen ausgestoßen. Nestor sammelte ein paar von ihnen ein, die ihm versprachen, nach Einbruch der Nacht an den Türen der Pyramide auf ihn zu warten.
    Cheftu überließ es Nestor, alles Weitere zu regeln, und ging noch mehr Menschen suchen. Schau weiter, sagte ihm seine Intuition. Suche, und du wirst finden.
    Er befand sich in einem wohlhabenden Bezirk der Stadt, wo üppige Pflanzen über die strahlend bunt bemalten Häuser wucherten. Er eilte von einer Dienstboten-Unterkunft zur nächsten und erkundigte sich überall, wer von dem Stier gegessen hatte.
    Seine Gefolgschaft war erbärmlich klein, als er an die Tür des größten Hauses klopfte. Eine junge Frau mit brandnarbigem Gesicht öffnete ihm, einen Arm gegen die Brust gedrückt.
    »Ihr seid gekommen, weil ihr ... absegeln wollt?«, flüsterte sie.
    Cheftu war so verblüfft über ihre Vorahnung, dass er schweigend und zustimmend den Kopf schüttelte.
    Sie fasste hinter sich und zog ungelenk eine gewebte Tasche auf ihren Rücken. »Nehmt mich mit.«
    Als der Mond aufging, hatte sich die bunt zusammengewürfelte Truppe versammelt. Cheftu und Nestor führten die Reisenden über die Zickzack-Treppe zu den Kais hinab. Wasser klatschte gegen die Schiffsrümpfe, und aus den Türen und Fenstern der hell erleuchteten Tavernen drang lautes Lachen. Dies waren die wenigen, die nicht von dem Stier gekostet hatten, die nicht die Krankheit in sich trugen, von der man Löcher im Gehirn bekam.
    Y’carus’ Blick war tränenklar, als er die Überbleibsel von Aztlan auf sein Schiff steigen sah. Weder er noch seine Männer hatten von dem Stier gegessen; trotzdem wollten einige lieber zu ihren Frauen und Kindern zurückkehren. Wer an Bord blieb, wusste um die Bedeutung dieser Reise, und so waren die Mienen der Männer ohne jede Freude. Cheftu überreichte Y’carus eine große Kiste mit Schriftrollen und Tafeln aus der Bibliothek: die Pläne für Tauchglocken und Rohrleitungen, Meereskarten, ein aztlantisches Wörterbuch, die kostbare Formel für die Alchimie. Diese Geheimnisse sollten der ganzen Welt gehören.
    »Aztlan wird es bald nur noch in der Erinnerung geben. Du hast das Imperium auf dein Schiff geladen.«
    Y’carus’ Blick ging über die Gebrochenen, die Ausgestoßenen. »Es ist ein kümmerlicher Grundstock.«
    »Betrachte sie nicht als Sippenangehörige; befreie jeden aus seiner Kaste, seiner Sippe, und schau sie dir dann nochmals an.«
    Der Kommandant sah ihn an. »Meine Augen werden dich nicht mehr erblicken, mein Freund.«
    »Nicht in diesem Leben.« Er und Y’carus umarmten sich, während die letzte Mitreisende an Bord kam - die junge Leibeigene, die schon auf ihn gewartet hatte.
    Dann eilte Cheftu die Laufplanke hinab. Unten drehte er sich um und sah, wie die Leibeigene und der Kommandant sich langsam näher kamen, bis sie schließlich einander in die Arme fielen.
    Cheftu lächelte; offenbar wollte sich der Kommandant unverzüglich daran machen, seinen Grundstock aufzubessern.
    Unter dem abnehmenden Mond verließ das riesige aztlantische Schiff den Hafen, bis der Klang des Trommlers zu einem schwachen Pulsieren in Cheftus Schläfe und Kehle verhallt war.
    So segelten der Seesoldat und die Färberin hinaus auf die offene See, durch die Kanäle Aztlans hindurch, über die weindunkle Ägäis hinweg und tief ins Große Grün hinein. An den Ufern des Mittelmeeres gründeten sie unter hohen Zedern kleine Städte.
    Die

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