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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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Dreihundert vermehrten sich, die Zahl der Boote vervielfachte sich, und das Volk wurde berühmt für seine Fertigkeiten: das Segeln und das Färben. Auch wenn es stets in der Nähe des Meeres blieb, so hielt es sich doch nur in der Ebene auf und mied den Zorn und den Irrsinn, den die Erde in ihren Gebirgen an den Tag legte.
    So kam es, dass die Phönizier, die einen zornigen, Blut und Feuer fordernden Gott verehrten, den ganzen Erdkreis befuhren. Sie brachten König Salomon Zedern, transportierten ägyptische Fayencen ins Kaspische Meer und hinterließen Münzen auf den Azoren, wobei sie dieselben Karten konsultierten, die später auch Alexander der Große verwenden sollte. Karten, von denen in uralten Texten der Bibliothek von Alexandria berichtet wird, in einem Alphabet niedergeschrieben, das die Welt seither verwendet und das seinen Ursprung in einem Land namens Atlantis hat ...
    Cheftu traute seinen Ohren nicht. »Ganz sicher?«
    »Die Leibeigene behauptet, ihre Herrin sei nach Hydroussa abgesegelt. Das hier ist für dich.«
    Cheftu öffnete den winzigen Papyrusfetzen und runzelte die Stirn. Chloe schrieb ihm in Keilschrift? Das war neu und ungewohnt. »Liebster Cheftu, eine wichtige Angelegenheit in meiner Sippe zwingt mich zur Abreise. Ich kann es nicht erwarten, in deine Arme zurückzukehren und darin zu schmachten. Sibylla.«
    Er schickte die Leibeigene fort und starrte auf die Nachricht. »Schmachten« hatte Chloe geschrieben? Und vor allem, sie hatte als Sibylla unterschrieben. Pedantisch untersuchte er die Keilabdrücke. Wurde er allmählich paranoid? Sie würde nicht ohne ihn von Aztlan fliehen; das widerspräche ihrem Wesen, es sei denn man hatte sie dazu gezwungen.
    Doch wer konnte ein Sippenoberhaupt zwingen? Es musste eine andere Erklärung geben. Wenn sie weggefahren wäre, hätte sie ihm eine Botschaft geschickt. Vielleicht hatte man sie beobachtet, oder sie hatte gewusst, dass ein Dritter ihre Nachricht lesen würde. Wenn er in ein paar Tagen noch nichts von ihr gehört hatte, würde er etwas unternehmen. Im Moment jedoch waren ihm die Hände gebunden.
    Er verschwand zu seinem nächsten Krankenbesuch. Der Letzte aus Zelos’ Hekatai lag im Sterben.
    Als Cheftu über die aus Arikat-Steinen zusammengefügte Brücke eilte, die sich über die flache Lagune der Insel Aztlan spannte, lief tief, tief unter der Erde die Zeit ab.
    Die Haarrisse und winzigen Spalten hatten sich auf Handspannenbreite geweitet. Der Korb, der die Bucht hielt, begann sich aufzulösen. Die Erde erbebte, zersplitterte und hob sich, woraufhin sich das Geflecht immer mehr lockerte.
    Unter der Lagune füllten sich die Haarrisse mit Wasser, wodurch sie zusätzlich gedehnt wurden. Salz und Flüssigkeit drängten mit ihrem Druck und ihrem Gewicht in die Spalten, bis der Abschnitt ganz zerbrach, der Erste von vielen, die noch abbröckeln würden.
    Cheftu hatte den steilen Anstieg zu der Villa des Sterbenden zur Hälfte zurückgelegt, als die Schreckensschreie zu ihm heraufwehten. Im Laufschritt kehrte er an die Klippe zurück. Sprachlos verfolgte er, wie die Lagune trocken fiel.
    Riesige, vom Sog hervorgerufene Wogen wirbelten am anderen Ende der Bucht auf und krachten gegen die Kais. Die wenigen tapferen Seeleute flohen in Panik den Zickzackpfad hinauf.
    Schiffe wurden gegen die Felsen geschmettert, so schnell fiel der Wasserspiegel. Schreie und Rufe gellten in Cheftus Ohren. Die Bucht fiel! In wenigen Atemzügen wäre die gesamte azt-lantische Flotte nur noch Strandgut.
    »Die Sibylla hat uns gewarnt!«, war der erste deutliche Ruf, den er hörte. Was sollte das heißen? Wie sollten sie fliehen, wenn keine Schiffe mehr da waren?
    Die Wellen hatten noch an Kraft gewonnen und schlugen nun hoch gegen die Feldwände Aztlans.
    »Flieht in die Berge!«
    »Lauft um euer Leben!«
    Die Therossee, jenes schöne, fischreiche Meer des Sommers, hatte sich in die Therio-See verwandelt - ein Untier.
    Er hoffte nur, dass Y’carus nichts passierte. Das wäre eine weitere grausige Katastrophe.
    Chloe! Mon Dieu, sie war auf See!
    Die Zeit hatte jede Bedeutung verloren. Die Dunkelheit war unerbittlich. Das Grauen packte Chloe stoßweise, wie in Anfällen, bei denen sie darum kämpfen musste, Ruhe zu bewahren. Inzwischen wusste sie, dass das Labyrinth dreidimensional angelegt war. Es gab nicht nur vertikale Durchgänge, die Seitensimse führten zusätzlich in weitere, horizontale Labyrinthe. Wie tief, war eine Frage, der sie lieber nicht nachgehen

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