Die Seherin von Knossos
Gegenstück zu jenem Tor in Ägypten, das ihn schließlich und endlich auf diese von Mythen vernebelte Insel verschlagen hatte? Cheftu hoffte, dass dies ein Zeichen war, Aztlan zu verlassen.
Jemand klopfte an seine Tür, und Niko öffnete.
»Mein Meister!«, sagte ein Leibeigener. »Eumelos ist krank geworden! Hreesos verlangt nach dir.«
Mit einem überheblichen Lächeln verabschiedete sich Niko kühl und zuversichtlich von Cheftu, ehe er dem Leibeigenen hinausfolgte. Cheftu schloss die Tür hinter den beiden und lehnte sich gegen das Holz.
Es gab also ein Tor; jetzt musste er nur noch seine Frau finden.
Nikos Hände bebten, als er Eumelos abtastete. Der Junge war nicht fiebrig, er musste sich nicht übergeben, und doch war er krank, Phoebus’ Miene war angespannt, sein Blick flehend. Er wusste Bescheid. Eumelos hatte die Krankheit, die Seuche, die den Hekatai niedergestreckt hatte und nun das einfache Volk dahinraffte.
»Wo hat er sich in den letzten Tagen aufgehalten?«, fragte Niko.
»Er ist ein paar Tage bei den Priestern geblieben, danach war er wieder bei mir. Bis er letzte Nacht krank geworden ist, ging es ihm wunderbar.« Phoebus schluckte hörbar, und Niko zog die Leinendecke zurück. Die Ataxie hatte bereits eingesetzt, schon zuckte Eumelos’ spindeldünner Leib, schon waren Schulter und Arm bizarr abgewinkelt.
So schnell hatte sie zugeschlagen!
»Unternimm etwas, Niko«, flehte Phoebus ihn an. »Du bist der Beste, der Klügste. Bitte hilf meinem Sohn.« Noch nie hatte Phoebus so schwach, so Not leidend geklungen. Etwas in Niko wünschte, Phoebus würde auch um ihn so kämpfen, doch zugleich wünschte er sich, Eumelos heilen zu können und dadurch Phoebus’ Herz zu gewinnen. Aber er konnte nichts unternehmen. Das hatten sie gesehen.
Sobald der Tod eingesetzt hatte ...
Das Elixier!
Niko deckte den Jungen wieder zu, damit er nicht mehr so bibberte. »Er wird überleben, Phoebus«, sagte er. Zwar war es ihm zutiefst zuwider, Ileana anzurühren, doch das Elixier hatte Phoebus vor dem sicheren Tod errettet. Würde es bei Eumelos ebenso wirken? Wenn Niko Eumelos rettete, dann würde Phoebus ihn, Niko, doch bestimmt wieder ins Herz schließen.
»Schwörst du das?«
Niko blickte in das verweinte Gesicht seines liebsten Freundes. Er strich mit der Hand über Phoebus’ bleiche Haut, die immer noch dunkler war als seine. »Bei der Spirale und der Muschel, ich schwöre es. Ich werde zurückkommen. Bleib an seiner Seite.«
Sowie Niko aus dem Raum gelaufen war, hielt er einen Leibeigenen an und übergab ihm eine Nachricht, dann eilte er die Treppe zum Laboratorium hinab. Er würde nach dem Elixier suchen, er würde alles versuchen, um Spiralenmeisters Versteck ausfindig zu machen. Falls ihm das nicht gelang, würde er sich mit Ileana vereinigen und es von ihr bekommen.
Eumelos musste überleben, damit Phoebus wieder Niko gehörte.
Sie erschien schneller, als er gedacht hatte. Niko wirbelte herum.
»Suchst du das hier?« Sie hielt ihm das Fläschchen entgegen, und Nikos Hände verkrampften sich.
»Ich brauche mehr. Dein Enkel liegt im Sterben.«
»Kinder müssen oft sterben. Darum gibt es ständig neue«, beschied sie ihm. »Außerdem ist er nicht blutsverwandt mit mir. Bist du bereit, der Vereinbarung nachzukommen?«
»Das habe ich doch in meiner Nachricht geschrieben.«
»Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich einer so unhöflichen, forschen Bitte nachgekommen bin«, erklärte sie kühl.
Niko biss die Zähne zusammen. »Verzeih mir, Herrin.« Langsam breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. Einen Fuß vor den anderen zwingend, ging Niko auf sie zu. »Was muss ich tun, um die ganze Flasche zu bekommen, Ileana?«
Sie lachte. »Glaubst du, ich würde dir alles geben? Du bist ein idealistischer Narr, nicht wahr?«
Er legte seine Hände auf ihre Brüste und drückte zu, bis sie schwerer zu atmen begann. »Ich brauche alles, Ileana. Gib es mir.«
Ihr Gesicht wurde immer heißer, ihre Augen verloren etwas von ihrem Glitzern. »Ich werde dir sagen, was du tun sollst, und wenn du mir Vergnügen bereitest, dann werde ich dir alles geben. Falls nicht, werde ich dir eine großzügige Menge überlassen. Zum Üben braucht man Zeit.« Ihr Lächeln ekelte ihn ebenso an wie die Hände, die an den Schnüren ihres Rockes nestelten.
Er tat das für Phoebus. Für Phoebus würde er alles tun, würde er jede Erniedrigung auf sich nehmen, alle Qualen erdulden. »Was willst du von mir?« Seine Stimme
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