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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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wäre, würde alles gut, hatte sie geglaubt.
    In ihrem Kopf blitzten Bilder von niedergebrannten Feldern, vom Tod der jungen Braut auf. Sibylla zuckte zusammen. Eine Zigarette, sie brauchte unbedingt eine Zigarette.
    Was war eine Zigarette?
    Ihr Quälgeist war ihr nachgefolgt und lebte nun mit ihr zusammen hier. Als könnte sie vor sich selbst davonlaufen, rannte Sibylla auf den Balkon, ihr Leinenlaken hinter sich her schleifend. Das schlafende Land wurde von kaltem Regen gepeitscht, dessen stetiges Geräusch ihre Nerven beruhigte. Es war der mangelnde Schlaf, überlegte sie. Jede Nacht wurde sie in einen Strudel von Gefühlen geschleudert. Sie fühlte sich innerlich wie äußerlich zerschlagen. Manchmal meinte sie die Stimmen wirklich zu hören, vor Zorn schreiend, untröstlich weinend. Sibylla strich das Haar über ihren Schultern glatt. Es widerstrebte ihr zutiefst, der Möglichkeit ins Auge zu sehen, dass sie nicht mehr prophezeien konnte .
    Also würde sie das gar nicht erst in Betracht ziehen. Kela versuchte, ihr etwas mitzuteilen; sie musste nur aufpassen, sie durfte keine Angst haben. Sie atmete tief durch und ließ sich von der Brise abkühlen. Wieder beruhigt, kehrte sie in ihr Bett zurück, neben dem eine Öllampe brannte. Sie öffnete einen kleinen Lederbeutel und schüttelte die Steine darin in ihre Hand. Opal, Lapislazuli, Türkis, Roter Achat, Tigerauge. Sie wollte sich von einem geistigen Konflikt und von bedrückenden Gefühlen reinigen, darum steckte sie alle außer einem in den Beutel zurück und legte das Tigerauge auf ihren rechten Ellbogen. Immer noch tief atmend, lenkte Sibylla die innere Ruhe der Großen Göttin durch den Stein hindurch in ihre
    Adern. Sie visualisierte die Worte in einem Tanz von Mustern, rückwärts und vorwärts, sich drehend und wiegend.
    Sibyllas Augen fielen zu.
    »Wir müssen uns unterhalten«, sprach Chloe den ruhenden Geist ihres Gastkörpers Sibylla an. »Auch wenn das eigentlich unmöglich ist, befinden wir uns beide im selben Körper. Wir brauchen ein paar Regeln.«
    »Es ist mein Körper«, widersprach Sibylla. »Du bist nur hier, weil du die Gunst des Augenblicks ausgenützt hast. Meine Psyche hatte mich nicht verlassen, sie war nur auf Reisen.«

»Dein Körper sollte dir nicht weniger wichtig sein als eine American Express Card. Du solltest nie ohne ihn ausgehen.«
    Sibylla stöhnte. »Ständig störst du meine Gedanken mit diesem unsinnigen Geplapper! Was bist du? Wer bist du? Wieso bist du hier?«
    Sofort sah Chloe eine Art Cartoon vor sich: eine Miniaturausgabe ihrer selbst mit grünen Augen und eine Miniaturausgabe von Sibylla mit blauen Augen, die auf den Schultern des lebensgroßen Körpers von Sibylla hockten. Die Frage war nur, wer war Teufel und wer Engel?
    »Es droht eine Katastrophe. Ich kann euch helfen.«
    »Du bist also eine Verkörperung der Großen Göttin, die die Erde beruhigen und die Meereswogen glätten kann?« Der Sarkasmus war nicht zu überhören, auch wenn Tausende von Jahren den Geist der beiden Frauen trennten.
    »Eigentlich bin ich eher so was wie eine Abordnung des Amerikanischen Katastrophenschutzes«, fuhr Chloe sie an. »Pass auf, wir müssen uns diesen Körper teilen. Wir können das friedlich tun.« Sie wartete schweigend. »Oder wir streiten uns weiter jeden Tag rund um die Uhr. Irgendwann musst du schließlich schlafen.«
    »Mein Verstand muss meinen Körper zusammen mit meinen Erinnerungen verlassen haben!«, grollte Sibylla. »Ich habe nicht die geringste Lust, dir zuzustimmen. Diese Katastrophen, die du siehst, sind Allegorien, Metaphern. Die Götter würden niemals ihre getreuen Diener vernichten.«
    »Wieso hast du dann dieser jungen Frau geraten, nach Phai-stos zu gehen?«
    »Das war ich nicht«, widersprach Sibylla bissig.
    »Du hast dich eingemischt. Die Götter lassen sich besänftigen, sie haben sich jedes Mal besänftigen lassen, schon seit Menschengedenken.«
    »Mit der Natur lässt sich nicht streiten«, sagte Chloe. »Ich kann diesem Volk, deinem Volk helfen.« Sie schwieg einen Moment. »Ich sag dir was - du kannst weiter deinen Diensten als Priesterin nachgehen. Ich werde mich als Souffleuse im Hintergrund halten.«
    »Wie gnädig von dir, mir die Kontrolle über meinen eigenen Körper zu überlassen. Wenigstens brauche ich jetzt nicht zu beichten, dass ich mit einem Skia feilsche.«
    Weil die Verständigung gleichzeitig auf visueller und verbaler Ebene stattzufinden schien, wusste Chloe, dass ein Skia ein

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