Die Seherin von Knossos
sich zusammen und drehte sich um. Eine Welle. Und noch mal. Das Meer. Bei Apis’ Steinen, er hatte das früher mal perfekt beherrscht und würde es wieder perfekt beherrschen! Er zog die Beine an und drehte sich um.
Gerade. Drehen. Gerade. Drehen. Wogen, die sich brechen und flach über den Strand spülen.
Schweiß rann an seinen Armen herab und machte die weichen Ledergriffe glitschig.
Gerade, Drehen, Gerade, Drehen .
Er spürte, wie seine Bewegungen allmählich ineinander übergingen. Bei jedem Versuch wurden seine Gesten geschmeidiger und flossen weiter ineinander. Ich werde Goldener sein. Er weigerte sich, daran zu denken, wie sehr er Zelos vermissen würde, welches dunkle Mysterium jenen Tag verdüsterte. Er würde regieren. Er würde Hreesos sein.
Es war seine Bestimmung, unabwendbar wie die Gezeiten.
Der Spiralenmeister öffnete das Dokument. Die Sprache auf diesen Lederseiten war die seiner Kindheit, Ägyptisch. Sein Großvater hatte den Inhalt dieser Tafel aus einer früheren Niederschrift in der Schrift und Sprache der Gründer von Aztlan übertragen.
Die Sippe der Olympier war erst vor hundert Sommern an die Macht gekommen, doch die Gründer dieses Reiches hatten schon vor Menschengedenken hier gelebt. Als die Erde zu einem einzigen Meer geworden war, waren ein Mann und seine Frau in dieses Land gekommen. Der Großvater des Mannes, Noach, war einem einzigen Gott gefolgt, der ihm dafür ein paar Zaubersteine geschenkt hatte. Noach hatte diese Steine an Iapheth weitergegeben, und Iapheth hatte sie an seinen Sohn Jawan weitergegeben, der sich auf diesen Inseln niedergelassen hatte.
Diese Steine hatten es den Menschen ermöglicht, direkt zu diesem einen Gott zu sprechen. Unter seinem Schutz gedieh das Volk: Ihr Gott zeigte den Menschen, wo es Quellen gab, lehrte sie alles über die Pflanzen, das Meer und die Steine. Spiralenmeisters zitternde Hand folgte eilig dem Text.
»In Gerechtigkeit und Gnade sprach der Eine Gott. Licht erhellte unseren Weg, und wir wurden vom Schlag der Steine geleitet.«
Die Steine. In allen Verweisen, die er gefunden hatte, wurde behauptet, dass sie mit diesem einen Gott in Verbindung standen. Krämpfe durchzuckten Spiralenmeisters Leib, und er ließ die Tafel fallen. Das Leder knallte auf den Boden, Spiralenmeister fluchte; wie sollte er es wieder aufheben? Er konnte kaum noch gehen, und Bücken war ausgeschlossen!
Mit zusammengekniffenen Augen studierte er die heruntergefallene Tafel. Jeder Abschnitt bestand aus beschriftetem Leder, zwei Rücken an Rücken geklebten und vernähten Rechtecken, die wechselseitig am nächsten Abschnitt befestigt waren. Und
zwischen den beiden Lederstücken lag etwas verborgen.
Adrenalin schoss durch seinen alten Leib, während er nach einem Stock tastete, mit dem er ungeschickt die lederne Mappe näher zog. Vor ihm erschienen zwei Geister. Skia. Beide waren groß und dem Anschein nach männlich. Einer war von Licht umflossen und strahlte Wärme und Mitgefühl aus. Der andere wirkte düster, abweisend und streng. Worte flüsterten durch seinen Kopf, in einer ihm unverständlichen Sprache, doch mit einer Betonung, die ihm bekannt vorkam. Dann waren die beiden verschwunden, und die Ledertafel lag wieder in seiner Hand.
Mühselig und umständlich gelang es Spiralenmeister, ein schmales Stück Papyrus zwischen den Lederblättern herauszuziehen. Ägyptische Hieroglyphen überzogen, mit dem fremdartigen Gekritzel der ersten aztlantischen Sprache durchsetzt, die Seite von rechts nach links. Gierig las er die Zeichen, die Lippen fest zusammengepresst, weil er keinesfalls versehentlich ein Wort ausflüstern und ihm dadurch Leben einhauchen wollte. Wie bei allen ägyptischen Zaubersprüchen hatte man in der Originalsprache auf die Aussprache verzichtet - eine Vorsichtsmaßnahme, durch die es nur dem Eingeweihten möglich war, den Zauber auszusprechen.
Der Papyruszettel flatterte vor seine Füße, während sich klopfende Schmerzen in seinem Schädel ausbreiteten. Die ja-wanische, gleichsam in Stein gemeißelte Warnung war eindeutig: » Dreimal wird Aztlan erhoben werden. Erst wird es sich verwunden, dann verstümmeln, dann zerstören.«
War dies das erste Mal? Oder das dritte? fragte sich Spiralenmeister unter Qualen.
Er rief nach Hilfe, dann, noch während ihn ein Schüler zu seiner Liege führte, verschwamm sein Blick. Ich darf nicht sterben, dachte er grimmig. Es gibt noch zu viel zu tun.
O Götter, helft mir.
Der Magus setzte einen Fuß vor
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