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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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nicht möglich, dass ein solches Leben dahingegangen war. Er wagte nicht einmal daran zu denken, die Schmerzen waren zu qualvoll. Nicht einmal ihren Körper hatte er retten können, sodass es ihm auch verwehrt war, ihr ein Grab zu bauen und die verbleibenden Tage damit zu verbringen, auf ihre Wiedervereinigung zu warten.
    Wieso war er in der Zeit zurück gewandert? Hätte er nicht in der Zukunft, in seinem wahren Körper landen müssen, als er Thuts Händen entrissen worden war? Mit seinem richtigen Namen?
    Das wollte Cheftu einfach nicht in den Kopf. Nicht, dass es das Geringste ausmachte. Er war in der falschen Zeit. Am falschen Ort. Das Ägypten, dem sein ganzes Herz gehört hatte, lag Jahrhunderte entfernt. Die Adligen, Häuser und Gaue, die er gekannt hatte, gab es noch nicht. Pharao regierte, die Priester beteten und jede Familie versuchte, dem darbenden Boden etwas Essbares abzuringen. Zu Hatschepsuts Zeiten gehörte das bebaubare Land zum größten Teil Pharao; in dieser Zeit hier war selbst Pharao arm. Cheftu erkannte Ägypten nicht wieder.
    Wieso er nicht von den rasenden Stieren niedergetrampelt worden war, entzog sich seiner Vorstellungskraft. Was hatte er für diese Schattenwelt geopfert? Der Gestank des siechen Marktplatzes riss ihn aus seinen Gedanken, und er ließ seinen Blick über die windschiefen Stände und den offenen Müll wandern, über dem sich die Fliegen sammelten. Senwosrets Ägypten ähnelte mit seinem Schmutz und seinen Krankheiten eher dem Ägypten zu Napoleons Zeiten als dem ruhmreichen Ägypten Hatschepsuts mit seinen Kanalisationsanlagen, Tempel-Verteilerzentren und Schulen. Er stieg über einen nicht mehr erkennbaren, verfaulenden Kadaver hinweg und gab sich Mühe, nicht die stillenden Frauen mit ihren leeren Brüsten anzustarren.
    Ipiankhu bog ab, und die gekalkten Wände wurden weißer, die Straßen breiter und die Menschen gesünder. Die Luft roch sauberer, und Cheftu sah, dass die größeren Güter durch Sandsäcke geschützt waren. Drei Überschwemmungen mit lang andauernden Überflutungen hatten zu dieser Hungersnot geführt, hatte man ihm erklärt. Doch Ägypten war nicht unvorbereitet getroffen worden, während der vorangegangenen Überschwemmungen hatte man Saatgut, Getreide und Trockenfrüchte eingelagert. Cheftu zog die Achseln hoch. Irgendwie klang all das vertraut, doch es interessierte ihn zu wenig, als-dass er der Sache nachgegangen wäre.
    Nachdem sie durch einen niedrigen Eingang getreten waren, folgte Cheftu dem Ägypter in einen Innenhof. Er ahnte, dass es früher eine bildschöne Anlage gewesen sein musste. Jetzt hielten aufgestapelte Lehmziegel das stehende, grünliche Wasser vom Haus fern. Ein sterbender Baum ragte aus einem mückenverseuchten Tümpel, und über dem ganzen Gut hing der drük-kende Gestank faulender Pflanzen. Diener arbeiteten mit schleppenden Bewegungen am Ofen, dessen grauer Rauch vor dem blauen Himmel verwehte. Geflügel wurde gebraten; Cheftus Magen knurrte, und Ipiankhu drehte sich um.
    »Meine Diener werden dir deine Gemächer zeigen«, sagte er. »Du kannst sie um alles bitten, was du begehrst, und sollst es bekommen.«
    »Außer meiner Freiheit?« Obwohl er die Antwort wusste, wollte Cheftu sie perverserweise hören.
    Ipiankhu zeigte ein Politikerlächeln, das seine Lippen dehnte und seine Augen schmal werden ließ.
    »Ich würde mir wünschen, dass diese Hungersnot schon morgen früh ein Ende nimmt, doch auch mein Wunsch kann nicht erfüllt werden.«
    Cheftu nickte und folgte einer abgemagerten Sklavin durch die sonnendurchstrahlten Räume des Bankettsaales, durch einige Bäder und über mehrere schmale Treppen bis zu einer Tür. Sie öffnete, und Cheftu trat in das Ägypten ein, das er von früher kannte.
    Mit blühenden Schlingpflanzen und unzähligen Vögeln bemalte Wände bildeten den farbenfrohen Hintergrund für eine frei stehende Liege und eine große Truhe. Cheftu zog einen Vorhang zur Seite und entdeckte den Baderaum. Ohne Ablauf, stellte er fest. Er trat an die Balkontür, blieb aber stehen, als er den Wachposten entdeckte. Der Mann salutierte höflich, doch sein Blick wich keine Sekunde von Cheftu.
    Müde und mit dröhnendem Schädel sank Cheftu auf die Liege. Die gewobene Matratze knarzte unter seinem Gewicht. Noch drei Tage zu warten. Würde Pharao etwas sehen? Würde Cheftu am Leben bleiben?
    Kümmerte ihn das?
    Drei Tage.
    »In drei Stunden steht der Mond in der richtigen Position«, bemerkte der Daedaledai, ein Student

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