Die Seherin von Knossos
also sollte sie hier? Ihre Gedanken rasten wie ein Hamster im Rad. Schneller, schneller, schneller, schneller - ohne irgendwohin zu gelangen.
Die beiden Frauen gingen wieder eine Treppe hinunter, durch einen weiteren Tunnel, dann die nächste Treppe hinab, nach links, nach rechts, eine Treppe nach oben, um wieder abzubiegen. Ein Säulengang, ein Gang, eine weitere Folge von chaotisch künstlerischen Räumen.
Diese Leute waren echt auf Labyrinthe fixiert, ein weiteres minoisches Motiv.
Als sie in einen weiteren Raum traten, wurde sie von den anwesenden Frauen mit der rechtwinkligen Geste begrüßt. »Die Sibylla«, verkündete die Nymphe und verschwand.
Eine Frau mit hoch aufragenden Federn im Haar trat vor. »Sei gegrüßt, Herrin. Wir sind geehrt, dass du heute mit uns tanzen willst. Wir vertrauen darauf, dass Kela durch dich sprechen wird?«
Chloe fühlte sich, als hätte sie ein Stachelschwein verschluckt, doch in diesem Augenblick erwachte Sibylla und gab die gebührende geschliffene Antwort. Chloe beobachtete sie mit einem komischen Gefühl im Magen. Tanzen, schon wieder Tanzen! Was hatten diese alten Kulturen nur mit ihrem Tanzen?
Jemand strich Bleiglanz auf ihre Lider und verlängerte dabei die Linien nach oben und außen, nicht auf ägyptische Weise, doch immer noch ausgesprochen exotisch. Eine rote Salbe wurde mit einem Pinsel auf ihre Lippen aufgetragen, und ihr Haar wurde in verschiedenen Abschnitten zurückgekämmt und schließlich mit einem federgeschmückten, flachen Hut gekrönt. Den anderen Frauen folgend, stieg sie hinab auf die unterste Ebene.
Der Raum war still, doch irgendetwas lag schwer in der Luft. Chloe atmete tief durch. Ihr kam die Stille unheil schwanger vor, doch Sibylla zeigte keinerlei Zeichen von Nervosität. Der Boden war in der Mitte eingesunken, und die eingesunkene Stelle schien sich zu bewegen. Eine Frau watete durch die sich windende, schillernde Masse und entzündete die erhöht angebrachte Öllampe.
Schlangen! Mein Gott, Millionen von Schlangen!.
Die Minoer hatten zu allem Überfluss auch eine Schwäche für Schlangen, fiel ihr siedendheiß ein. Chloe wich zurück, doch Sibylla nahm seelenruhig ein paar Giftschlangen entgegen, die sie um ihr Handgelenk wand wie lebendige Armbänder. Eine Priesterin legte eine Schlange um Sibyllas Hut und eine weitere um ihre Taille. Chloe zog sich so weit wie möglich zurück; das hier überließ sie lieber Sibylla. Wenn das hier kein Ritual war, dann wusste sie nicht, was eines sein sollte. Sie würde sich auf Sibylla verlassen müssen. Zögernd kroch Chloe in die Dunkelheit des Geistes zurück. Wow, sie war auf Kreta.
Mit klarerem Kopf als je, seit sie in der Höhle aufgewacht war, erkundigte sich Sibylla nach dem Namen ihrer Schlangen und verbrachte einen Moment damit, sie zu tätscheln und sich an das trockene Gewicht zu gewöhnen, das sich in regelmäßigen Abständen um ihre Arme und ihren Leib zusammenzog und wieder lockerte.
Musik von oben markierte den Beginn des Verehrungsrituals für die Göttin Kela. Wenn die ersten Schmetterlinge nach Knossos zurückkehrten, war es an der Zeit, Kela zu grüßen und sie wieder im Leben willkommen zu heißen. Die Göttin der Erde starb alljährlich, wenn die Winde sich erhoben, und wurde mit den Schlangen und Schmetterlingen wiedergeboren. Von ganz Kaphtor strömten dann die Menschen herbei, um die Begrüßung Kelas zu feiern. Schon hatte sich eine Menge versammelt, ein gutes Omen. Die Muschelsucherinnen hatten ein Festmahl bereitet, dessen Duft nach bratenden Fischen, Töpfen mit frischen Muscheln und gegrillten Krebsen in der morgendlichen Luft hing.
AZTLAN
»Erwache, Herrin! Heute grüßen wir Kela!«
Ileana stemmte sich auf die Ellbogen hoch und versuchte, die Lider aufzubekommen. Der Wein der vergangenen Nacht pulsierte in ihrem Schädel, und ihr Mund fühlte sich an wie ein Vlies. Bei Kela, was hatte sie nur getan? Selbst die Rufe ihrer Schoßtiere gellten ihr in den Ohren. Sie vergrub den Kopf in den Leinen und versuchte, sich die vergangene Nacht ins Gedächtnis zurückzurufen.
Mit Priamos geschlafen, während wir Kreenos gegessen haben, fiel ihr wieder ein.
O Kela!
Müde und mit schmerzenden Gliedern ließ Ileana sich ins Bad tragen und dann langsam mit warmem Wasser und Öl massieren, bis sie gänzlich erwacht war. Die Hände des Leibeigenen waren sanft und kundig, und Ileana merkte, wie sie friedvoll davonzuschweben begann.
Sie musste aufwachen! Heute war ein wichtiger
Weitere Kostenlose Bücher