Die Seherin von Knossos
hättest, hätte sie keine Notwendigkeit gesehen, ihre beiden Töchter rein zu machen.«
Zelos befreite sich aus ihrem Griff. »Ileana kannte ich schon davor, sie hat gewusst, wie unsere Ehe aussehen würde.«
Unwillkürlich blickte er auf seine linke Hand und den Arm. Das Symbol war verblasst, doch immer noch zu erkennen. Grüne Ranken schlangen sich um seine Finger, über den Handrücken hinauf und um sein Handgelenk. Das aztlantische Ehezeichen: ein tätowierter Arm. Wie lang schien das alles her zu sein. Plötzlich wurde Zelos von grimmigem Lebenswillen gepackt, doch er unterdrückte ihn und sah seine Tochter an.
»Sie wollte mich trotzdem.«
»Hat sie wirklich geahnt, wie es sein würde, mit dir verheiratet zu sein, Pateeras? War ihr klar, wie weit du gehen würdest?«
»Sie hat gewusst, dass ich ein Mann mit den Bedürfnissen eines Mannes bin.«
»Ein falscher, treuloser Mann, der sie in den Wahnsinn getrieben hat. Sie hatte Angst, du könntest deine eigenen Töchter verführen.«
Zelos wurde schwindelig, und seine Zunge fühlte sich pelzig an. Oder sie hatte Angst, dass du mich verführst, dachte er.
»Weißt du, was sie uns angetan hat?«
Er versuchte es sich auszumalen, etwas zu sagen, doch sein Mund wollte ihm nicht mehr gehorchen. Voll losgelöstem Entsetzen beobachtete er, wie seine jüngste Tochter ihre Tunika hochzuziehen begann.
»Das hat Ileana getan. Aber hat es dich davor abgehalten, als Stier verkleidet auf diesem Fest zu erscheinen, um Yuropa zu verführen?« Auf Irmentis’ weißen Wangen glühten rote Flek-ken. »Hat es dich davor abgehalten, einen Schwan abzurichten, der Letas umwerben und verführen sollte? Wie viele Kinder hat sie dir außer Phoebus noch geschenkt?« Jetzt löste Irmentis ihre Schärpe. »Was ist mit Daneaia, der Mykenerin? Wieviel Goldstaub hast du auf sie herabregnen lassen, ehe sie dich in ihr Bett gelassen hat?« Sie packte ihn am Kinn und sah ihn wutentbrannt an. »Vielleicht hat Ileana das Messer geführt, Zelos, doch du hast es in ihre Hand gedrückt! Siehst du die Folgen deiner Treulosigkeit? Siehst du, wie du mein Leben zerstört hast?«
Zelos hatte schon Hunderte von Nymphen nackt gesehen. Er kannte den weiblichen Körper beinahe besser als seinen eigenen. Er spürte, wie ihm übel wurde, als er das verstümmelte Geschlecht seiner Tochter erblickte.
Alles war weggeschnitten worden, sodass nur eine Reihe zusammengeflickter, rosa Narben geblieben war.
Unter Tränen sah er Irmentis an. Wie sollte er es erklären? Die Leidenschaft und Lust, die so oft Besitz von ihm ergriffen hatten, würde sie nie kennen lernen. Seinetwegen nie kennen lernen; und Ileanas wegen.
»Was willst du?«, fragte er langsam.
Irmentis ließ ihr Kleid wieder fallen. »Ich kann es nicht ertragen, Aztlan zu verlassen, Pateeras. Und genauso wenig kann ich es ertragen, Phoebus mit einer anderen zu sehen.« Aus ihrer Stimme klang ein solcher Schmerz, dass Zelos sich fragte, ob diese eigenartige Frau vielleicht wahre Leidenschaft empfinden konnte.
»Gut.«
Sie kniete vor ihm nieder. »Schenk mir eine Insel, wo ich mit meinen Hunden und ein paar Nymphen leben kann. Ich werde Phoebus verlassen und den Rest meiner Tage mit Jagen und Fischen zubringen. Ich werde nie wieder zurückkehren.« Sie senkte den Blick. »Bis er stirbt; bis zu seinem Großen Jahr.«
Nie hatte sich Zelos seiner dunklen Tochter verbunden gefühlt. Sie hatte den Kopf gesenkt, sodass das dunkle Haar sich über ihren Schultern lockte und über ihre bedeckten Brüste strömte. »Du willst Phoebus verlassen?«
»Ja.« Sie sah nicht auf. »Wenn er es erfährt, werde ich in Anathema sein.«
Zelos hatte seinen Sohn mit Irmentis zusammen gesehen.
Sie war Phoebus keineswegs Anathema, doch wenn sie das glaubte, dann sollte es so sein. Er seufzte. Warum sollte er nicht wenigstens einmal im Leben einer Frau ganz selbstlos einen Gefallen erweisen?
»Beim Dreizack und bei der Muschel, ich schwöre es.«
Sie reichte ihm das Messer mit dem Heft voran. Beleidigt, doch auf eigenartige Weise verständnisvoll, schnitt Zelos seinen Finger auf und schmierte das Blut erst über die Klinge, dann über seine Lippen. »Ich schwöre es beim Dreizack und bei der Muschel und bei meiner Ehre als Goldener Stier. Zelos Zeus aus der Sippe der Olympier«, gelobte er.
Sie gab ihm einen festen Kuss auf den Mund.
»Kalo taxidi, Pateeras. Ich werde die Begräbnis-Kollyiva für dich essen.«
Spiralenmeister schmerzten schon die Handgelenke vom
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