Die Seherin von Knossos
Schulter zurück. »Ich bin Sibylla.«
Sie saßen in beklommenem Schweigen da. Sibylla wollte seine Leidenschaft erneut ansteigen hören. Auch wenn er sich abgewandt hatte, sah sie sein Gesicht vor sich. Er hatte starke Züge: schwere, dunkle, gebogene Brauen über den Augen, eine gerade Nase, hohe Wangenknochen. Sein Körper war stark, wenn auch vernarbt. Insgeheim stirnrunzelnd erhob sich Sibylla und ging an die geflochtene Liege.
»Willst du dich ausruhen, Cheftu?«
Er senkte den Kopf, schweigsam und verschlossen. Gleich darauf antwortete er: »Ich glaube nicht. Dankbarkeit.« Er streckte eine langfingrige Hand nach seinem Schurz aus, und Sibylla geriet in Panik. Er wollte weggehen; er durfte nicht weggehen! In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken.
»Da du fremd hier bist, weißt du vielleicht nicht, dass dein Dienst an Kela noch nicht erfüllt ist.«
Er drehte sich um und sah sie zum ersten Mal an, seit er ihre Hand berührt hatte. Sibylla spürte, wie sein Blick ihren ganzen Körper liebkoste. Verblüfft stellte sie fest, dass allein ihr Anblick eine deutlich erkennbare Reaktion bei ihm auslöste.
»Zieh deine Tunika aus«, sagte er.
Offensichtlich war ihm das Wort für Überrock unbekannt, doch seine Absicht war klar. Langsam ließ Sibylla die Jacke von ihren Schultern gleiten. Cheftu stand breitbeinig vor ihr, rhythmisch die Hände ballend und entspannend. »Und jetzt dein -« Er deutete auf ihren Rock, und Sibylla wand sich aus dem Stoff wie eine Schlange aus ihrer Haut. Schwer atmend sah Cheftu ihr ins Gesicht.
Er legte eine Hand erst auf seinen Bauch, dann auf sein Geschlecht, und Sibylla holte scharf Luft. In langsamen Schritten kam er auf sie zu, mit hastig sich hebender und fallender Brust. »Bist du eine von diesen Tempeltänzerinnen?«
Sibylla lächelte. Nein, das war sie nicht, es war sogar eine Beleidigung, ihr diese Frage zu stellen, doch für ihn würde sie alles tun, alles sein. »Wenn der Ägypter es wünscht, ja.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sagte dann: »Ich war nicht mit einer Frau zusammen ...« Seine Miene fiel in sich zusammen, sodass Sibylla die Hand nach ihm ausstreckte, ihn küsste und versuchte, den Schmerz aus seinen Augen zu vertreiben.
Ihre Zunge glitt in sein Ohr, und seine Reaktion ermunterte sie weiter. »Was möchtest du, Ägypter?«, flüsterte sie. »Was du auch begehrst, du sollst es bekommen.«
Er zog sie mit einem Ruck an seine Brust, sodass sich sein hartes Glied zwischen sie drängte. »Berühre mich«, flüsterte er mit brechender Stimme. »Ich bin halb verdurstet nach einer
Berührung.«
In Wahrheit bestand die rituelle Verbindung aus einer einzigen Vereinigung. Jedes Vorspiel und ebenso jedes Vergnügen war Kela vorbehalten, die in der Priesterin verkörpert wurde. Der Mann hatte nichts zu erwarten; er brachte lediglich seinen Samen in die Gleichung ein. Doch diesen Gedanken schenkte Sibylle keine Beachtung, als sie die kleine Ampulle mit Hyazinthenduft-Öl aufhob, die ihr Dion geschenkt hatte.
Sibylla drückte den Ägypter auf das Bett nieder und goss dann das Öl in ihre Hände. Er hatte das Gesicht abgewandt, er schien sie nicht ansehen zu können, doch sie spürte, wie sich seine Haut in ihre Hände schmiegte, sobald sie ihn berührte. Er wollte sie oder zumindest ihren Körper - was genau, wusste Sibylla nicht, und es war ihr auch egal.
Mit langsamen Strichen rieb sie das Öl ein, fühlte dabei die Struktur seiner Haut, die festen Muskeln und Sehnen. Nachdem sie den Rücken, die Schultern und Arme eingerieben hatte, drang sie weiter nach unten vor und hockte sich rittlings auf seine Schenkel. Sein Hintern war rund und fest, und die Haut war dort weißer als irgendwo sonst an seinem Körper. Er seufzte in das Leinen, und seine Worte schnitten in ihr Herz, ehe sie begriff, dass sie ihn eigentlich gar nicht verstehen dürfte. »Chloe«, flüsterte er. »Meine Geliebte.«
Sibylla erstarrte.
Cheftu erwachte ganz allmählich, nicht zu vergleichen mit dem entsetzten Hochschrecken, mit dem er inzwischen ständig aus dem Schlaf gerissen worden war, sondern voller Frieden. Ein Hauch von Sex lag in der Luft, und er spürte die glatte Haut Chloes an seiner.
Chloe!
Er schlug die Augen auf und blinzelte gegen die Sonne. In seinen Arm und an seine Beine gekuschelt lag eine Frau. Schwarzes Lockenhaar bedeckte sie beide, und Cheftu emp-fand zu gleichen Teilen Trauer, Scham und Lust. Die Lust gewann gemächlich die Oberhand, denn ihre
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