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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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mit uns Strip-Poker spielen würde.
    Vor ein paar Tagen kam sie in Lucys Zimmer, als Sofia gerade auf der Toilette war und pinkelte. Plötzlich rief Ernessa: »Mach die Tür zu!« Wir verstummten. Man hörte nur, wie die Pisse in die Kloschüssel zischte.
    »Ich kann nicht«, schrie Sofia. »Ich bin auf der Toilette.«
    »Ich will dich nicht auf der Toilette hören«, meinte Ernessa.
    Lucy machte schnell die Tür zu. Sie war verlegen.
    Wenn wir vor aller Augen auf die Toilette gehen, heißt das, wir haben keine Geheimnisse voreinander.
    Wenn Ernessa es so abstoßend findet, pinkelt Lucy vermutlich nicht in ihrer Gegenwart.
23. Oktober
    Heute habe ich etwas getan, das ich noch nie zuvor gemacht habe. Ich war wieder in Mrs. Haltons Wohnzimmer, um meine Erlaubnis unterschreiben zu lassen, und da sagte ich zu ihr: »Ich möchte mich über Ernessas Zimmer beschweren. Es riecht da so schlecht. Ich kann gar nicht daran vorbeigehen.«
    Die Worte kamen einfach von selbst.
    »Außer dir hat sich niemand beschwert«, sagte Mrs. Halton und unterzeichnete den Vordruck. Sie hörte gar nicht richtig hin. Es stimmt, dass es die anderen nicht so stört wie mich. Ich reagiere sehr empfindlich auf Gerüche. Im Sommer am Strand kann ich es nicht ertragen, wenn wir wegen der feuchten Handtücher und Badematten Schimmel im Badezimmer haben.
    Ich hätte das Thema wechseln können, wollte es aber nicht. »Der Geruch ist Ekel erregend. Ich kann es nicht aushalten. Mein Zimmer liegt genau gegenüber.«
    Mrs. Halton schaute mich unter ihrer Halbbrille an. »Ich dachte, du hättest mehr Mitgefühl mit dem armen Mädchen. Wo ihr doch in der gleichen Situation seid.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«, fragte ich. Ich wollte wissen, ob sie damit andeuten wollte, dass wir die einzigen Jüdinnen waren. Doch sie meinte etwas anderes.
    »Wegen ihres Vaters«, sagte Mrs. Halton, die jetzt rot geworden war. Sie ordnete die Zettel in dem Briefständer aus Messing, der auf ihrem Schreibtisch stand, damit sie mich nicht ansehen musste. »Die unglückliche Situation … dass er sich das Leben genommen hat, meine ich.«
    »Das wusste ich nicht. Aber das ist auch egal. Ich habe ja nichts gegen Ernessa. Mich stört nur, dass es in ihrem Zimmer stinkt.«
    »Ich werde mit ihr sprechen. Aber sie ist sehr eigen. Sie wird niemandem erlauben, dort sauber zu machen. Sie hat versprochen, sich selbst darum zu kümmern. Wenn ich ihr Zimmer inspiziere, ist es immer sauber. Vielleicht muss sie nur mal lüften.«
    Warum darf Ernessa ihre Tür zumachen, während unsere immer offen bleiben müssen, damit die Zimmer nach dem Frühstück inspiziert werden können?
    Man sollte ihr nicht erlauben, die Regeln zu umgehen. Letztes Jahr habe ich meine Kommode in den Schrank geräumt, um mehr Platz zu haben, doch Mrs. Dunlap verlangte, dass ich sie zurückstellte. Sie sagte: »In der Schulbroschüre steht, dass jedes Zimmer mit Schreibtisch, Stuhl, Bett, Kommode und Lampe ausgestattet ist. Was ist, wenn sich ein Besucher dein Zimmer anschaut und keine Kommode darin findet? Das geht nicht.«
    Ich will Ernessa keine Schwierigkeiten machen. Ich habe nie gepetzt. Aber den Geruch kann ich nicht ertragen.
    Ich habe nie versucht, Mitleid zu erwecken. Ich habe meinen Vater nie als Entschuldigung benutzt.
25. Oktober
Nach dem Abendessen
    Lucy war so kalt zu mir. Ich hatte sie das ganze Wochenende nicht gesehen, und sie schien sich gar nicht zu freuen, als wir uns trafen. So war sie früher nie. Habe ich mir etwa nur eingebildet, dass wir beste Freundinnen sind und Zimmer zusammen haben?
    Beim Rückmelden wollte ich einen Blick in die Liste werfen, um zu sehen, wo Lucy das Wochenende verbracht hatte, doch Miss Olivo wurde sauer. Es war beinahe Essenszeit, und hinter mir wartete eine Reihe Mädchen, die sich alle zurückmelden wollten.
    »Ich wollte nur nachsehen, ob ich mich am Freitag ausgetragen habe«, murmelte ich.
    Ich fragte Dora, was Lucy am Wochenende gemacht habe. Ich traute mich nicht, sie selbst zu fragen. Sie würde es mir nie sagen, wenn sie mit Ernessa unterwegs gewesen war. Und das war sie bestimmt. Ich bemühte mich, gelassen zu wirken. Dora hatte ohnehin keine Ahnung. Ausnahmsweise war ich froh, dass sie nicht richtig zuhörte.
    Ich wollte zurück in die Schule, doch nun bereue ich es, wieder hier zu sein. Das mit Lucy hat das ganze Wochenende kaputtgemacht.
26. Oktober
    Es war so nett mit Sofia, wir hatten das Wochenende ganz für uns allein. Ich habe nicht einmal an die

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