Die Sehnsucht der Krähentochter
kamen.«
Anselmo nickte leicht,
gedankenschwer vor sich hin starrend. »Ich sah sie im Dorf – und ich erschrak.
Sie trugen ein Symbol auf ihrer Kleidung, das ich kannte. Nicht einfach nur
kannte. Ein Symbol, das mir einmal in Fleisch und Blut übergegangen war. Vor
vielen Jahren.«
»Die Rose von Alvarado.«
»Ich versuchte, die
Männer und alles, was ich mit ihnen verband, einfach aus meinen Gedanken zu
streichen. So zu tun, als gäbe es keine Erinnerungen, keine Vergangenheit. Ich
mied das Dorf, aber das war nicht einfach. Es gab immer mal eine Besorgung zu
erledigen, für die ich nicht Baldus schicken konnte. Eines Nachmittags ging ich
die Hauptstraße entlang, als mir drei von den Fremden entgegenritten. Wie sich
zu meiner grenzenlosen Verblüffung herausstellte, war mir nicht nur die Rose
sehr vertraut – sondern auch einer der Reiter.« Anselmo nahm tief Luft. »Er und
ich, wir sprachen miteinander. Vorsichtig, mit Misstrauen, nachdem wir uns
jahrelang nicht gesehen hatten. Er wusste nicht, ob ich sein Freund oder sein
Gegner war. Weder noch, erklärte ich ihm. Ich sagte ihm, dass ich mit der
Vergangenheit gebrochen hätte, nicht mehr der wäre, den er von früher kannte.
Einzig meinen Vornamen hatte ich in die Gegenwart mitgenommen.«
»Ein junger
gutaussehender Mann, nicht wahr?«
»Ja, Pablo Alvarado. Der
Sohn meines Onkels, mein Vetter. Er erwiderte, er akzeptiere mein neues Leben.
Auch wenn es eine tiefe Kluft in unserer Familie gäbe – er würde mein Geheimnis
für sich behalten. Aber das war eine Lüge. Er strengte sich jedoch sehr an,
meinen Verdacht nicht zu wecken.«
»Was geschah, Anselmo?«
»Pablo sagte mir, dass
meine Mutter auf der Flucht aus Spanien sei und sich in der Nähe von Teichdorf
aufhalte. In Karlsruhe. Ich wusste, dass sie dorthin tatsächlich vor Jahren
Beziehungen gepflegt hatte. Pablo sagte auch, dass sie sehr krank wäre. Dass
sie im Sterben liege. Dass sie sich so sehr gewünscht habe, mich noch einmal zu
sehen, bevor sie für immer gehen müsse. Nicht um die Vergangenheit aufzuwühlen,
sondern nur um Abschied zu nehmen. Von mir, von der Welt.«
»Also gingst du zu ihr,
um Lebewohl zu sagen.«
»Ja, das war meine
Absicht. Ich brach auf mit Pablo und einigen seiner Gefährten auf. Doch auf dem
Weg nahmen sie mich gefangen. Mit Entsetzen wurde mir klar, dass die Krankheit
meiner Mutter als Vorwand gedient hatte – Mutter befand sich nicht in
Karlsruhe. Aber auf dem vermeintlichen Weg dorthin war es leichter für Pablo
und die anderen, mich in ihre Gewalt zu bringen und zu verschleppen. Sie
brachten mich zurück in das Land, das ich vor langer Zeit verlassen hatte und
in das ich nie wieder zurückkehren wollte. Erst hier schaffte ich es, die
Flucht zu ergreifen. In einer Villa. Es gelang mir, eine allzu leichtfertige
Magd zu bezirzen, die mir Essen gab. Sie ließ sich dazu überreden, meine
Fesseln etwas zu lockern, als nur sie bei mir war. So entwischte ich.«
Bernina erinnerte sich
sofort an die Magd – und auch daran, dass Juan Alvarado von einem Druckmittel
gesprochen hatte, das ihm entglitten war. Dieses Druckmittel war also Anselmo
gewesen. »Warum haben Pablo und seine Komplizen dich verschleppt?«, wollte sie
wissen. Auch wenn sie die Antwort schon erahnte.
»Meine Mutter ist
natürlich alles andere als krank. Mit mir als Gefangenem wollten Pablo und sein
Vater Druck auf sie ausüben. Sie drohten, mich zu töten, wenn meine Mutter den
Schutz der Festung nicht aufgeben und auf ihr Vermögen verzichten würde.«
»Dein Entkommen hat
diesen Plan zunichte gemacht«, warf Bernina kurz ein.
»Ja, deshalb musste Juan
Alvarado das weiterverfolgen, was er schon seit Längerem vorhatte. Er hat alte
Verbindungen ins Kaiserreich genutzt und sich eine kleine Armee zusammengestellt,
eine Truppe aus Söldnern. Ich erfuhr das in der Villa, in der ich gefangen
gehalten wurde, und nach meiner glücklichen Flucht eilte ich geradenwegs
hierher, um die Menschen in der Festung zu warnen. Doch man war durchaus auf
einen derartigen Schlag vorbereitet. Dank meines Auftauchens stand fest, dass
es bis zum Angriff nicht mehr lange dauern würde. Hier ist man gerade eifrig
damit beschäftigt, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.«
»Auch ich erfuhr
einiges.« Bernina sah ihn an. »Unter anderem, dass die Herrin dieser Festung
eine Diebin ist. Sie soll einst ihren Mann verleumdet und ihn so zur Flucht
gezwungen haben. Außerdem soll sie sich seiner Besitztümer bemächtigt
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