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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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einer Erklärung, ohne wirklich etwas zu
erklären. Dir ins Gesicht zu blicken – und irgendwelche Lügen zu erzählen, das
brachte ich nicht fertig. Und Pablo, den ein verrückter Zufall des Lebens zu
mir getrieben hatte und der so seine Chance witterte, drängte mich immer mehr.
Also begleitete ich ihn und seine Helfer. Je weiter wir uns von Teichdorf
entfernten, desto stärker ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Bevor ich
umkehren konnte, überwältigten sie mich. Von da an blieb ich gefesselt.
Ununterbrochen unter Pablos Aufsicht, stets von mindestens einer Waffe bedroht.
Den ganzen Weg, bis wir Juan Alvarados Villa erreichten.«
    Erneut verstrich ein
wenig Zeit, ohne dass ein Wort gewechselt wurde. Und abermals war es Bernina,
die das Schweigen brach: »Welches Geheimnis, Anselmo? Welches viel größere
Geheimnis hält sich im Verborgenen, wie du sagtest?« Sie forschte in seinem
Gesicht. »Wer ist Isabella?«
    Wie schon einmal zuvor
blickte er eher verwirrt auf. »Isabella? Das weißt du doch längst.«
    »Nein, das tue ich
nicht.«
    Er lächelte sie an, ganz
offen, mit diesem Ausdruck, den sie so vermisst hatte. »Elena Isabella Lobo y
Alvarado. Isabella ist meine Mutter. Mit diesem Namen wurde sie innerhalb der
Familie immer schon gerufen.«
    »Wirklich?«
    »Aber ja, Bernina.«
    Diesmal war sie es, die
flüchtig lächelte. »Ich gelangte an ein Schreiben, das an dich gerichtet war.
Es war in diesem Kästchen, und ich dachte …«
    »Isabella ist meine
Mutter. Es hat nie eine andere Frau gegeben als dich. Übrigens, ich weiß
natürlich, welchen Brief du meinst. Ich habe das Schriftstück nicht im Haus haben
wollen, wo du es zufällig finden konntest, und versteckte es etwas abseits des
Hofes.« Er senkte kurz den Blick. »Das war meine erste Heimlichkeit dir
gegenüber.«
    »Oder deine letzte. Je
nachdem, wie man es sieht.«
    »Ja.« Ein zaghaftes
Nicken. »Aber wie gelang es dir überhaupt, das Schreiben zu finden?«
    »Mit der Hilfe von
Baldus.«
    Anselmo lachte kurz auf.
»Baldus. Ein gewitztes Kerlchen, keine Frage.«
    »Der Brief war
unterschrieben mit Isabella.«
    »Er stammt noch aus der
Zeit, als ich Valencia verlassen musste. Irgendwann danach verstaute ihn meine
Mutter in dem Kästchen und gab es weiter an Pablo. In der Hoffnung, er könne
mir den Brief irgendwann überbringen.«
    »Ausgerechnet Pablo?«
    »Ja, der Streit
innerhalb unserer Familie begann damals gerade zu eskalieren. Und Pablo war
jemand, der sich noch nicht für eine Seite entschieden hatte. Für seinen Vater
und seinen Onkel – oder für seine Tante, an der er immer sehr gehangen hatte.
Auch weil ihn und mich eine Freundschaft verband. Darauf setzte Mutter. Er nahm
das Schreiben an sich und versprach, es mir zu übergeben. Doch wir sahen uns
nie wieder – bis zu jenem Tag in Teichdorf. Den Brief gab es noch, inzwischen
allerdings wusste Pablo, zu welcher Seite er hielt: natürlich zu der seines
Vaters. Und das Schriftstück kam ihm nun gerade recht. Es half ihm dabei, mich
zu überzeugen, ihn zu begleiten.«
    »Was schrieb dir deine
Mutter?«
    Anselmo
blickte ins Nichts. »Es waren weniger die Worte, die mich berührten. Eher die
Schrift, die ich so gut kannte, der Namenszug, den ich früher so oft gelesen
hatte. Sie schrieb, dass sie mich vermisse und ich Valencia nicht Hals über
Kopf hätte verlassen sollen. Und dass ich zurück zu ihr kommen solle. Was immer
geschehen sein mag, wir dürfen nicht zulassen, dass es uns für immer trennt –
das war der letzte Satz des Schreibens. Ich erinnere mich genau.«
    Bernina betrachtete ihn
noch immer ganz aufmerksam. »Wie kam es dazu, dass du deiner Mutter den Rücken
kehrtest? Sag es mir endlich, Anselmo: Was ist dieses große Geheimnis?«
    Seine sonst so vollen
Lippen waren ein Strich.
    »Sag es mir.«
    Erst
jetzt suchten seine blauen Augen ihre dunkelbraunen. Ganz leise flüsterte er:
»Ich bin ein Mörder, Bernina.«
     
    *
     
    Die Nacht und der Regen schlichen davon, der
neue Tag kam und tauchte das einsame Land rund um die Festung in ein milchiges,
von geballten Wolken geschwächtes Licht. Lange hatten sie miteinander
gesprochen, auch nachdem die Kerze längst verloschen war. Und als Bernina an
Anselmos Brust einschlief, atmete sie scheinbar zum ersten Mal seit einer wahren
Ewigkeit entspannt ein. Trotz allem, was zwischen ihnen stand. Trotz allem, was
bisher nicht zur Sprache gekommen war. Trotz allem, was noch kommen mochte.
Endlich ein Moment der Ruhe, ein Moment des

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