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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Ritt am Vorabend und in
der Frühe.
    Bernina hielt inne.
Nein, irgendjemand musste die Zügel aufgeknotet haben. Und im nächsten Moment
ein Rascheln – hinter ihr.
    Zwei Männer, die sie mit
Pistolen bedrohten. Sie sagten etwas, mit Sicherheit auf Spanisch. Kurze harte
Laute. Nicht nur auf der Mauer, auch hier im freien Gelände gab es Wachen. Sie
hätte früher daran denken, noch vorsichtiger sein sollen. Zu spät.
    »Ich komme in
friedlicher Absicht«, erklärte sie. Diesmal jedoch, das sah sie ein, wurde ihre
Sprache nicht verstanden.
    Der eine kam auf sie zu
und schlug ihr die Muskete aus den Händen. Auch den Degen nahm er ihr ab. Die
Männer wechselten einen raschen Blick, anscheinend ebenso erstaunt angesichts
Berninas Erscheinung wie am Tag zuvor der Sohn Juan Alvarados und die Magd.
    Irgendwo in der Nähe
ertönte ein Wiehern. Berninas Stute war von den Wachposten wohl woanders
hingeführt worden. Die Spanier postierten sich hinter ihr. Eine Pistolenmündung
in ihrem Rücken gab ihr den Befehl loszulaufen. Auf dem Weg zur Festung nahmen
die Wachen noch Berninas Pferd mit. Sie führten Bernina auf das an die Felswand
gepresste Bauwerk zu, auf das Tor, jenen schwarzen Schlund, der sich langsam,
unter lautem Ächzen des Eisens öffnete.
    Als sich der Innenhof
vor ihr ausbreitete, setzte erneut leichter Regen ein. Trotz ihrer
unglaublichen Anspannung wurde Bernina bewusst, dass der Sommer verschwunden
war, seit sie sich in Valencia von Nils Norby verabschiedet hatte. Ein böses
Omen?
    Ihr Blick fiel auf das
große Gebäude mit dem Schilfdach, das ihr schon von ihrem Beobachtungsposten
aufgefallen war. Es stand nahe des südlichen Mauerviertels und ließ selbst von
außen ungewöhnlichen Luxus erkennen. Bernina hörte, wie sich die Soldaten
hinter ihr unterhielten. Ein weiterer tauchte auf, offensichtlich ein Offizier.
Misstrauisch betrachtete er sie von Kopf bis Fuß, dann ließ er sie zu einem
kleineren Gebäude führen, in dem Vorräte gelagert wurden – und eine Gitterzelle
untergebracht war. Dunkelheit empfing Bernina. Dumpf nahm sie wahr, wie die
Männer hinter ihr den Riegel vorschoben. Ein Käfig aus schwarzem Stahl. Ein
winziges vergittertes glasloses Fenster eröffnete die Sicht auf den größten
Teil des Innenhofs. Bernina war gefangen. Wie in Teichdorf. Flecken auf einem Stoff,
der Stroh umhüllte – die Schlafstelle. Die Flecken stammten von Blut. Manche
waren alt, andere dagegen frisch. Bernina fühlte die Kälte nicht nur von außen,
noch stärker in ihrem Innern.
    Sie starrte zwischen den
Eisenstreben hindurch nach draußen. La visitación. Breite Arkaden, unter denen
sich bequeme Korbsessel befanden, schmückten das große Gebäude, das das Herz
der Festung bildete. Eine großzügig angelegte Freitreppe führte offenbar in
eine Halle. Flankiert wurde die Treppe von eindrucksvollen steinernen Wölfen.
Es herrschte Geschäftigkeit. Viele Männer eilten über den Vorplatz. Waffen und
Säcke, die gewiss Bleikugeln enthielten, wurden ausgeteilt, Musketen geputzt.
In der umliegenden Gegend gab es bestimmt nicht nur Fußsoldaten, die die Augen
offen hielten – womöglich auch berittene Späher. Hatten sie Norbys Armee
gesehen? Deshalb die Umtriebigkeit?
    Allein die unbesetzten
Korbsessel vermittelten ein Bild von Alltäglichkeit, von normalem Leben. Wer
benutzte sie? Die Wölfin?
    Schon nach kurzer Zeit öffnete
sich die Gittertür wieder, und der Offizier, begleitet von zwei Soldaten,
stürmte hinein. Ansatzlos versetzte er Bernina mit der flachen Hand einen
Schlag, der sie zu Boden schickte. Mit harten, abgehackten Lauten redete er auf
sie ein. Angst durchflutete sie, doch nichts davon gab ihr Blick preis. Ihre
Augen hielten denen des Offiziers stand, während sie sich langsam erhob. Kein
weiterer Schlag. Doch wiederum schnarrende Worte, die Bernina nicht verstand.
    »Anselmo«, sagte sie
schließlich, laut und klar, genau wie am Vortag.
    Schweigen. Voller
Argwohn wurde sie von den Blicken der Fremden abgetastet.
    »Anselmo. Ich will zu
ihm. Wo ist er? Anselmo …«
    Der Offizier verschwand
wieder. Allein. Doch bloß um sofort darauf zurückzukehren. Mit einem anderen
Mann. Einem Mann, der eine schwarze Kapuze mit winzigen Blicköffnungen trug. In
den Händen ruhte ein Schwert.
    Die beiden Soldaten
ergriffen Bernina, banden ihr die Handgelenke mit einem Lederriemen auf den
Rücken und zwangen sie nach unten, bis sie auf dem kalten gestampften Boden
kniete. Kräftige Finger drückten ihren Kopf

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