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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Wind, der durch die beiden
geöffneten Fenster eindrang, bauschte hauchfein gewobene Gardinen. Mit vor der
Brust gekreuzten Armen stand Elena Isabella Lobo y Alvarado vor ihrem Sohn.
Sorgenvoll lag ihre Stirn in Furchen. »Das lasse ich nicht zu«, sagte sie.
Zuerst hatten sich die beiden nur in ihrer Muttersprache unterhalten, waren
dann aber aus Rücksicht auf Bernina zum Deutschen übergegangen.
    »Du wirst es zulassen
müssen«, murmelte Anselmo, während er zwei Pistolen mit trichterförmig endendem
Lauf in seinen Gürtel schob.
    »Ich weiß, dass du dir
geschworen hast, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Belasse es dabei.
Wir haben genügend kampferprobte Männer. Über 200. Und nach allem, was wir
wissen, stehen uns nicht viel mehr als 100 gegenüber.«
    Als er aufblickte, war
es nicht Elena, die sein Blick erfasste, sondern Bernina. »Du weißt, dass ich
nicht anders kann, nicht wahr?«
    Ihr
brach es das Herz, diese Worte zu hören. »Ich weiß nur, dass ich dich nicht
verlieren will. Bleibe hier bei uns. Du hast keine Gefechtserfahrung, du bist
kein Soldat.« Schon als sie es aussprach, spürte sie, dass es sinnlos war.
    Anselmo kam auf sie zu,
legte seine Arme um sie, küsste ihre Wangen, ihr Haar, ihre Lippen. »Wie könnte
ich hier sitzen und einfach abwarten, wie es ausgeht?« Er ließ von ihr ab und
legte die Hände auf die Pistolengriffe. »Ihr wisst genau, dass ich gehen muss.«
Ganz kurz betrachtete er den Degen, den Bernina von Braquewehr bis hierher
gebracht hatte. Die Waffe lag quer über einem Sessel. Doch als er ohne ein
weiteres Wort den Raum verließ, nahm er sie nicht an sich. Ohne Erfahrung war
der Degen noch weniger wert als Schusswaffen.
    Bernina bemerkte, wie sehr
seine Mutter mit den Tränen rang, wie schwer es ihr fiel, die Fassung zu
wahren. Ihr selbst erging es nicht anders. Hilflos wandte sie sich von Neuem
dem Fenster zu. Diese Stille. Dieses leblose starre Bild, das sich vor ihren
Augen ausbreitete.
    Würde es überhaupt einen
Ausbruch der Gewalt geben?
    Der nächste Moment
beantwortete die Frage. Huschende Gestalten, die ersten Schüsse. Kein Signal,
keine Fanfaren. Anders als alle Offiziere der Welt hatte Nils Norby
offensichtlich den entscheidenden Schlag geplant. Da war keine Armee, die auf
den Feind zumarschierte, sondern viele kleine Gruppen von Soldaten, die auf den
ersten Eindruck willkürlich zu handeln schienen, in Wirklichkeit jedoch genau
wussten, was sie zu tun hatten.
    Bernina erkannte sofort,
welchem Zweck die Übungen dienten, die Norby und Feldwebel Meissner ihre Leute
auf dem langen Weg hatten absolvieren lassen. Keine starren Reihen, keine
klaren Formationen wie sonst üblich, sondern Beweglichkeit. Darauf kam es dem
Schweden an. Schnelligkeit und diese verwirrende Beweglichkeit. Überall
tauchten Kämpfer auf. Sie hatten den tückischen Nebel genutzt, sie schossen aus
Armbrüsten und schleuderten Taue mit großen, eisernen Widerhaken über die
Mauer. Doch das war vor allem als Ablenkung gedacht. Denn der Berg, an den sich
die Festung drückte, war ihre Schwachstelle. Von dort kamen bereits weitere
Angreifer in roten Umhängen. Sie glitten über die Mauerzinnen, ihre
Behändigkeit, ihre leise Entschlossenheit, die ohne Befehle auskam, verwirrte
die Verteidiger. Noch mehr von ihnen rückten nach, als wären sie nicht 100,
sondern 300 oder 600. Schüsse, das Surren von Pfeilen, Degenklingen, die
krachend aufeinander trafen. Bernina hielt Ausschau nach Anselmos schlanker,
geschmeidiger Gestalt – ohne Erfolg. Auch einen großen, breitschultrigen Mann
mit langem blondem Haar suchte sie vergeblich.
    Elena erschien an
Berninas Seite, das Gesicht deutlich gefasster – offenbar nicht mehr nur eine
leidende Mutter, sondern auch wieder die Wölfin. Sie starrte auf das immer
größer, immer blutiger werdende Durcheinander unter ihnen, ohne dass Bernina
eine Reaktion in den hellen Augen ablesen konnte. Je mehr Angreifer ins Innere
der Festungsmauern gelangten, desto schwieriger wurde die Lage für Elenas
Männer.
    »Dieser Kampf«,
flüsterte die Spanierin, »wird noch schlimmer werden, als ich es befürchtet
hatte.«
    »Ich hoffe nur, dass
Anselmo nichts passiert.«
    »Ja. So viel steht auf
dem Spiel. So viel.« Wie schon an der Tafel glitt Elenas Blick ab in eine
Leere. Sie drehte sich um und ließ sich in einen der Sessel fallen. »Geh
endlich weg von dem Fenster, mein Kind. Sonst findet dich womöglich noch eine
verirrte Kugel.«
    »Es ist kaum zu
ertragen.

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