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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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seine Absicht, bevor es die Bewegung
tut.
    Sie
parierte zwei weitere seiner Schläge, aber sofort setzte er nach – um im
nächsten Sekundenbruchteil in sich zusammenzusacken. Anselmo hatte mit der
Pistole zugeschlagen. Ganz kurz umarmte er Bernina, ganz kurz presste er sie
fest an sich, dann hasteten sie weiter, Elena in ihrer Mitte. Doch wiederum
wurden sie allzu schnell aufgehalten. Abermals von einem einzigen Mann, der
sich aufreizend lässig im Flur präsentierte, einem großen, kräftigen Mann mit
bis zum Unterkiefer herabgezogenem Schnurrbart. Ebenso aufreizend streifte er sich
die einzige graue Strähne seines blonden Haares aus dem Gesicht. Wie zuvor
zögerte Anselmo keinen Moment. Aber erneut hatte er es mit einem gewandten
Gegner zu tun. Nils Norby sah ihm entgegen, ließ die Hand mit dem blutigen
Degen zunächst ruhig herunterhängen, um Anselmo mit der freien einen Schlag zu
versetzen, gleich noch einen, um dann doch die Waffe einzusetzen. Mit Wucht und
verblüffender Schnelligkeit senkte sich der Degengriff in Anselmos Haar, eine
rote Fontäne, und Anselmo sank bewusstlos zu Boden. Elena stürzte mit einem
Schrei des Entsetzens zu ihm, nicht allerdings Bernina.
    Aufrecht
stand sie da, ihre Blicke trafen die grünen Augen des Schweden. Er lächelte.
Vielleicht spöttisch, vielleicht auch bewundernd. Wie immer war es nicht
leicht, seine Gedanken zu erraten. »Erfreulich, dass du deine Garderobe wieder
deiner Schönheit angepasst hast. Das war eine gute Entscheidung.«
    Bernina machte einen
Schritt auf ihn zu. »Bist du überrascht, mich wiederzusehen?«
    Von irgendwo im Haus
drang Kampfeslärm zu ihnen.
    Unverändert das Lächeln
Nils Norbys. »Ich wusste, dass du gehen musstest. Ja, ich habe es dir sogar
sehr leicht gemacht, einfach zu verschwinden. Dass unsere Ziele miteinander
kollidieren würden, das ahnte ich bereits. Aber dass wir uns einmal als Gegner
gegenüberstehen würden …« Er ließ den Satz verklingen, um dann hinzuzusetzen:
»Doch selbst dann hätte ich es nicht vermocht, dich aufzuhalten.« Erst jetzt
schimmerte etwas anderes in seinem Blick auf. Traurigkeit? »Und nun, Bernina?
Willst du mir zeigen, wie viel Meissner dir beigebracht hat? Ob du es wert
warst, dass dir mein Feldwebel so viel Zeit und Mühe schenkte?«
    Die Spitze seines Degens
zischte unglaublich schnell, unsichtbar für jedes Auge durch die Luft und
zerfetzte den Stoff ihres Ärmels, ohne jedoch die Haut darunter zu ritzen.
    »Na los, Bernina,
gewähre mir diesen Tanz. Es könnte unser letzter sein.«
    Wieder seine Klinge, die
zischende, unsichtbare Schlange, diesmal allerdings parierte Bernina den
Schlag. Auch den nächsten und den nächsten. Tatsächlich, es war ein Tanz:
Tänzelnd bewegten sie sich, geschmeidig, leichtfüßig. Seine Angriffe wurden
forscher, Berninas Abwehren mühevoller. Doch einmal gelang es ihr, ihn zu
überraschen – ihre Degenspitze erwischte seinen Oberschenkel, und als ein bisschen
Blut floss, lachte Norby auf. »Meine Hochachtung! Meissner hat wahrlich nicht
übertrieben mit seinem großen Lob, meine verehrte Bernina. Im Gegenteil, er
wäre gewiss stolz auf seinen Lieblingsschüler.«
    Bernina versuchte den
Augenblick zu nutzen. Mit einem langen Schritt ging sie zum Angriff über, aber
diesmal stach ihre Klinge ins Leere. Alles passierte ganz schnell. Norbys zur
Seite Gleiten, sein erneutes Lächeln und der Fausthieb mit seiner freien
Linken. Funken sprühten vor Berninas Augen wie kleine silberne Sterne und
zerstoben sofort. Dunkelheit, nichts als Dunkelheit.
     
    *
     
    Eine Stimme. Geflüsterte Worte. Nur, was gesagt wurde, das
verstand sie nicht. Aber die Stimme war voller Wärme, voller Zuneigung. Eine
Frau war es, die sprach. Die Krähenfrau. Jetzt erklangen die Worte klarer.
»Dein Weg«, hörte Bernina, »ist erst dann zurückgelegt, wenn der Kreis sich
schließt. Erst dann ist dein Weg …« Die gewisperten Laute lösten sich auf,
dafür – eine Berührung. Bernina erschrak, dann jedoch spürte sie Behaglichkeit.
Es waren Lippen, die sie berührten, die sie küssten, ihre Wangen, ihren Mund,
vorsichtig, zärtlich, ganz sanft. Für einen Moment glaubte sie, auch den Blick
grüner Augen auf sich zu fühlen, eine verwirrende Sekunde erwartete sie schon,
den schwedischen Akzent zu hören. Schließlich erkannte sie, dass es blaue Augen
waren, die sie besorgt ansahen.
    »Anselmo.«
    Ihre Stimme war bloß ein
Hauchen. Sie erwiderte seine Küsse, und es war so angenehm, sich

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