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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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nicht
erschrecken.«
    »Schon gut.« Bernina
schmiegte sich in seinen Arm. »Deine Mutter hat vorhin sehr viel Großmut
bewiesen.«
    »Großmut ja. Köpfchen
vielleicht nicht.«
    »Es war richtig, diese
Männer gehen zu lassen«, beharrte Bernina.
    »Sprechen wir einfach
nicht mehr von ihnen.« Er sah sie an. »Sprechen wir von dir.«
    »Von mir?«
    »Ich spüre doch, wie
sehr dich deine eigenen Gedanken vor sich hertreiben.«
    Bernina nickte kaum
merklich. »Ja, ich muss mir endlich über vieles klar werden. Etwas ist mir erst
heute bewusst geworden. Es war nicht allein die Suche nach dir, was mich in
Bewegung hielt, nicht diese verzweifelte Ungewissheit, was dir zugestoßen sein
mochte. Es war auch eine Flucht. Meine Flucht vor den Dingen, die mir
zugestoßen waren. Vor dem Unglück, vor den Schrecken in der Heimat.« Behutsam
löste sie sich von ihm. »Wir haben noch nicht darüber geredet, was nun
geschehen soll. Ich weiß nicht, was du vorhast, Anselmo, aber ich – ich kann
nicht hierbleiben. Ich weiß, dass ich zurück muss. So weit der Weg auch sein
mag, so wenig ich dort auch eine Zukunft haben mag. Ich muss zurück.«
    »Aber das ist mir doch
klar«, beeilte er sich zu antworten. »Ich bin ja nicht aus freien Stücken
hierher zurückgekommen.« Er breitete kurz die Arme aus. »Bernina, was für Gedanken
du nur hast! Natürlich muss auch ich zurück. Denn auch meine Heimat ist der
Petersthal-Hof. Falls du je daran Zweifel hattest …«
    Sie hob die Schultern.
»Ich war so durcheinander. Bin es noch.«
    »Wenn wir wirklich
zurückgehen, erwartet uns wahrscheinlich … Wenn du Gerechtigkeit willst …« Er
brach ab. »Eines steht fest: Es wird verdammt schwer werden.«
    »Und ob ich
Gerechtigkeit will.« Ein verlorenes Lächeln huschte über Berninas Gesicht.
»Leider habe ich nicht die geringste Ahnung, wie wir diese Gerechtigkeit
erreichen könnten.«
    »Wir sind nicht allein«,
versuchte er ihr Mut zuzusprechen. »Denn das einzige Gute an der ganzen Sache
ist ja, dass ich meine Mutter wiedergesehen habe. Wir sind beide sehr dankbar
für diese Tage, so groß der Druck auch gewesen ist. Und eines ist gewiss: Du
und ich, wir werden nicht allein zurückkehren. Mutter war von Anfang an klar,
dass ich nicht in Spanien bleiben werde. Hier gelte ich nach wie vor als
Mörder. Hier interessiert sich nach wie vor niemand für die Umstände der Tat. Sie
weiß, dass ich wieder in mein neues Leben zurückkehren muss. Aber sie hat uns
angeboten, für den Fall der Fälle einen Teil ihrer Soldaten zur Verfügung zu
stellen. Was immer auf uns warten mag – ein paar schlagkräftige Männer wären
uns eine große Unterstützung.«
    »Nein«, wehrte Bernina
sofort ab. »Das möchte ich nicht.«
    »Aber weshalb denn
nicht?«
    Sie drehte sich um und
blickte wieder auf ihren eigenen Schatten an der nackten Wand, zu dem sich nun
Anselmos gesellt hatte. »Ich kann dir nicht einmal genau sagen, warum. Ach,
Anselmo. Ich will einfach nicht mit einer kleinen Armeetruppe irgendwo
einfallen, ich will keinen neuen Kleinkrieg. Das kann nicht der einzige Weg
sein.«
    Nach
einer kurzen Stille meinte er schließlich: »Gut. Wenn es das ist, was du möchtest,
dann ist es in Ordnung so.« Er trat noch näher zu ihr. »Wann willst du
aufbrechen?«
    »Sobald du bereit bist.
Falls du mich wirklich begleiten möchtest – obwohl wir mit Sicherheit nichts
Schönes vorfinden werden.«
    »Natürlich will ich das.
Wir gehören doch zusammen, Bernina.« Seine Hand umschloss ihre. »Gib mir noch
ein oder zwei Tage, um ein wenig Zeit mit Mutter verbringen zu können.«
    Aus dem Gebäude drang
Musik zu ihnen – keine ausgelassenen, sondern schwermütige Klänge, mit denen
die Soldaten ihre gefallenen Kameraden betrauerten. Unwillkürlich fiel Bernina
der Geigenspieler in Teichdorf ein. »Du hast recht, Anselmo: Es wird verdammt
schwer werden. Vor allem, wenn man bedenkt, auf wen wir in Teichdorf treffen
könnten.«
    Ihre Blicke trafen sich.
»Ja, ich weiß, wen du meinst, Bernina.«
    »Ich frage mich, ob wir
es überhaupt dorthin schaffen.« Nachdenklich ließ sie ihren Blick durch die
Nacht wandern. »Das Jahr ist schon weit vorangeschritten. Ein früher
Wintereinbruch könnte alle unsere Absichten zunichte machen.«
    »Da ist durchaus was
dran. Aber Mutter und ich, wir haben auch dafür bereits Überlegungen
angestellt.«
    Bernina sah überrascht
auf. »Und welche sind das?«
    Er
lächelte. »Lass dich überraschen.«
    Nach
drei Tagen auf der Festung

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