Die Sehnsucht der Krähentochter
Kerzenflamme
flackerte.
»Hmh«, murmelte Nils
Norby. »Ich weiß gern, was meine Männer denken. Also, was denkst du, Soldat?
Wie gefällt dir deine Einheit?«
»Gut.« Mehr ein Räuspern
denn ein Wort. Worauf will er nur hinaus?, fragte sich Bernina und fühlte sich
zusehends unwohler in ihrer Haut.
»Gut«, wiederholte Norby
ironisch und trat einen Schritt näher auf Bernina zu. »Hast du schon Erfahrung
in der Schlacht sammeln können, Soldat?«
Sie schüttelte ihren
Kopf.
»Warum hast du dich
gerade für diese Truppe entschieden, Soldat?«
»Ich wusste nicht, wohin
ich sollte.« Jede Silbe ein kleiner innerer Kampf für Bernina. Sofort räusperte
sie sich wieder.
»Immerhin eine ehrliche
Antwort. Du bist aus Braquewehr, nicht wahr?«
Abermals nickte sie
lautlos. Nach wie vor erwiderte sie seinen Blick nicht. Was hat er bloß vor?,
fragte sie sich erneut, und ihre Wachsamkeit wuchs noch mehr.
»Na ja, die
Fortschritte, was deine Stimme betrifft, scheinen ein wenig übertrieben zu
sein.« Leise lachte er, um gleich darauf mit ernsterer Stimme zu sagen:
»Soldat, sieh mich an.«
Sie hob ihr Kinn. Ihr
Blick traf seinen. Aus der Nähe änderte sie ihre Meinung. Die Verletzung, die
er am Rande Ippenheims erlitten hatte, war ihm doch anzumerken. Bleicher seine
Haut, tiefer sein Auge in der Höhle, und auch seine Wangenknochen sprangen noch
härter aus seinem markanten Gesicht hervor. Allerdings nahm sie das nur im
Unterbewusstsein wahr. Ein anderer Gedanke durchzuckte sie wie ein Blitz,
hämmerte hinter ihrer Stirn: Meissner hat dich doch durchschaut! Und dann hat
er natürlich seinen Hauptmann eingeweiht. Norby weiß es!
»Ich wette, das ist dein
erster Bart, Soldat.«
Sie nickte und sah
wieder auf die nackte Erde unter ihren Füßen. »Ja.«
»Und ich wette auch, du
wirst einmal mit dem Degen so gut sein, dass du selbst mir Schwierigkeiten
bereiten könntest. Ich habe dich hin und wieder mit Meissner beobachten können,
zumindest kurz.« Ein flüchtiges Heben seiner breiten Schultern. »Aber das ist
nicht alles, was zählt. Weißt du, was meine Männer vor allem können müssen?«
Auf einmal war er noch ein Stück näher bei ihr. »Weißt du das, Soldat?«
»Nein«, flüsterte sie.
Oder war ihre Aufregung etwa doch unbegründet? Hatte Meissner letzten Endes
nicht entdeckt, dass sie …
Norbys Stimme zerschnitt
den Gedanken: »Meine Soldaten müssen küssen können.«
Berninas Kopf ruckte
hoch. Völlig verdutzt blickte sie ihn geradewegs an.
Schon hatte er seine
Arme um sie gelegt. Er presste seine Lippen auf ihre, und nach einem Augenblick
des Erschreckens gelang es ihr, sich aus seinem Griff zu winden. Ohne dass sie
abzuwägen, ohne dass sie sich selbst aufzuhalten vermochte, traf das Leder
ihres Handschuhs auf seine Wange. Ein trockner, klatschender Laut. Und wieder
konnte sie nur verdutzt aufblicken.
Seine Reaktion war ein
lautes Auflachen. Dann trat er einen Schritt nach hinten.
»Entschuldige«, sagte er
schließlich. Doch erneut musste er lächeln. »Unser erster Kuss. Und ich muss
gestehen: Selbst ein ungehobelter Kerl wie ich hätte ihn sich etwas
romantischer vorgestellt. Wenn du wüsstest, wie sehr es mich schon während
unserer gemeinsamen Tage zwischen Teichdorf und Ippenheim gereizt hat, dir nahe
zu kommen. So verdammt gereizt.«
Bernina spürte, dass ihr
das Blut in die Wangen geschossen war. In ihr wütete ein wahres Durcheinander
an Gefühlen. Scham. Wut. Hilflosigkeit. Und doch tat es auf sonderbare Weise
gut, einmal die eigene Verkleidung abzustreifen. Ganz offen erfassten ihre
Augen den Schweden. »Es freut mich, dass du auf meine Kosten so viel Spaß
hast.« Sie war froh, dass sie es fertigbrachte, Gefasstheit in ihre Stimme zu legen.
Sogar eine gewisse Kühle.
»Ich muss nochmals um
Verzeihung bitten. Ohne etwas über die Situation zu wissen, die dich zu der
Maskerade veranlasste, hätte ich nicht lachen dürfen. Das ist mir durchaus
klar.« Der Spott war völlig aus seinem Blick gewichen. »Aber die Versuchung war
einfach zu groß. Ich konnte wohl nicht widerstehen.«
Sie streifte den Hut vom
Kopf, den sie sonst nur zum Schlafen abnahm. Dass sein Blick ihr kurzes,
unordentlich und wild abgeschnittenes Haar streifte, war ihr gleichgültig. Auf
einmal war da eine dumpfe Müdigkeit in ihr. »Die Ohrfeige hast du jedenfalls
verdient«, meinte sie.
»Kein Widerspruch.«
»Dabei hat es mir so
sehr Kummer bereitet, dass ich mich bei dir nicht einmal bedanken konnte.«
Bernina
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