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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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schüttelte den Kopf, und ein verhaltenes, vielleicht sogar trauriges
Lächeln schlich über ihre Lippen. »Das lastet wirklich sehr auf meinem
Gewissen.«
    »Wovon sprichst du?«
    »Wovon schon? Du
wolltest mich retten und fandest dabei den Tod. Das dachte ich jedenfalls. Und
ich habe mich schuldig gefühlt. Sogar geträumt habe ich von dir. Diese Sache
nagte unaufhörlich an mir, seit ich dich zum letzten Mal sah. Seit du – wie ich
annahm – wegen mir sterben musstest.«
    »Eine begehrenswerte
Frau, die von mir träumt? Was könnte ich mir Schöneres vorstellen?« Seine
Stimme schwankte zwischen Heiterkeit und Ernst, als hätte er sich nicht schnell
genug entscheiden können, ob er ein Kompliment machen oder wieder anzüglich
werden wollte.
    Bernina erwiderte nichts
darauf.
    »Aber allzu viel«, fuhr
er fort, »darf ich mir wohl nicht darauf einbilden. Denn es ist ja eher ein
junger Mann, der von mir träumt.« Jetzt war er es, der sich räusperte. »Schon
wieder ein alberner Scherz. Ich verspreche dir, das war der letzte dieser Art.«
    »Du brauchst mir
überhaupt nichts zu versprechen.«
    Norby sah sie an –
erneut mit Ernsthaftigkeit. »Doch neugierig geworden, das bin ich in der Tat.
Wie kam es dazu, dass du zu einem Soldaten wurdest?«
    Sollte sie offen sein
und ihm alles erzählen? Oder noch nicht? Sie war verwirrt, diese ganze
Situation hatte etwas unendlich Verwirrendes.
    »Irgendwie bin ich da
wohl …«, entgegnete sie zögernd, »… tja, hineingeschlittert.«
    Er betrachtete sie
weiterhin voller Aufmerksamkeit. »Ja, das ging mir wohl ähnlich.
Hineingeschlittert.«
    »Du bist also wieder
Wolfsjäger geworden?«
    »Du sprichst die Flagge
an, die ich zerriss. Wolfsjäger. Könnte man durchaus so sagen. Aber ich sehe es
eher so: Vor allem bin ich wieder Soldat geworden. Zumindest etwas, das an das
Soldatsein erinnert. Ein Offizier bei einer Armee der Unsichtbaren.«
    »Armee der
Unsichtbaren?«
    »Eine Truppe von
Gescheiterten und Verzweifelten. Irgendwie geschlagen, jeder von ihnen. Weder
der Krieg noch die zivile Welt scheint sie noch haben zu wollen. Eine Armee der
Gespenster, der Unsichtbaren. Flüchtende, Grünschnäbel. Und Kranke. Wie ich
dich kenne, ist dir das aufgefallen, oder? Wie viele Kranke es unter diesen
Männern gibt. Ich meine nicht nur die, die eine schwere Verletzung aus dem
Krieg mitbrachten.«
    Bernina nickte. »Ja, die
Kranken sind mir sofort ins Auge gestochen.«
    Viele der Männer waren
übersät von hässlichen verkrusteten Narben, die von eitrigen Pusteln stammten.
Pocken. Eine bösartige Erkrankung. In schweren Fällen konnte sie zu Erblindung,
Gehörlosigkeit, Lähmungen und sogar Hirnschäden führen. Oft genug kam der Tod.
    »Es
ist klar, dass wir nur solche Soldaten kriegen«, erklärte Norby. »Allein schon
deswegen, weil wir alles im Dunkeln lassen müssen. Unser Auftraggeber ist ein
Mann, der im Hintergrund bleiben möchte. Wir können nicht mit offenen Karten
spielen. Deshalb triffst du in unserem Lager nur auf junge Männer, die bei
anderen Armeen oft bloß als Träger und Hilfsjungen verpflichtet werden. Oder
auf ältere. Die, die in den besten Jahren sind, finden sich zum Beispiel bei
d’Orville, Arnim von der Tauber oder Benedikt von Korth. Und hier gibt es auch
mit Sicherheit genügend Herumtreiber, die schon öfter auf der falschen Seite
des Gesetzes gestanden haben. Verbrecher auf der Flucht.«
    »Du und Meissner, ihr
habt sie trotzdem aufgenommen.«
    »Ja. Männer, die andere
Offiziere nicht mehr wollten. Darum muss ich ihnen hin und wieder schmeicheln.
Wie gesagt: eine Armee der Gescheiterten. Ich weiß das. Aber umso besser, wenn
sie es nicht wissen. Das ist auch der Grund, warum hier militärische Ränge
nicht viel zählen. Meissner wird nicht anerkannt, weil er Feldwebel ist,
sondern weil er der Mann ist, der er ist.«
    Bernina musterte ihn
lange. »Wer ist dieser geheimnisvolle Auftraggeber?«
    »Ein Mann, den ich schon
lange kenne. Ich gab ihm mein Wort, seinen Namen gegenüber niemandem zu nennen.
Vor Kurzem traf ich ihn wieder. In Ippenheim, rein zufällig. Ich musste mich
von meinen Verletzungen erholen, und in dem Gasthof, in dem ich unterkam, lief
er mir über den Weg. Er war in großer Sorge. Ich willigte ein, ihm zu helfen.
Er sagte, er kenne einen fähigen ehemaligen Feldwebel, den er unter Umständen
ebenfalls für den Plan gewinnen könne. Und dieser Feldwebel …«
    »Meissner«, warf Bernina
ein.
    »… begann rasch damit,
Leute zu

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