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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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mit rissigem Firnis. Fresken,
Fliesen. Ein Tisch und Stühle aus dunklem Holz. Sie nahmen Platz. Noch bevor
ein weiteres Wort gewechselt wurde, war der Diener wieder da, in den Händen ein
riesiges Tablett. Er stellte es ab, zog sich zurück, die Türen fielen zu. Ein
eigenwilliger scharfer Duft verdrängte die abgestandene Luft.
    Der Gastgeber verteilte
Schüsseln. »Willkommen in Valencia«, sagte er. »Olla podriga. Stinkt wie ein
Ziegenstall, ist aber die beste Gemüsesuppe der Welt. Mit Schinken, Geflügel
und würziger Wurst angereichert.«
    Es schmeckte köstlich.
Vor allem nach der entbehrungsreichen Zeit, die hinter Bernina und Norby lag.
Dazu gab es roten Wein, von dem Bernina nur nippte.
    »Was für traurige
Zeiten«, beschloss der Weißhaarige die Mahlzeit, »in denen ein Mitglied meiner
Familie Gäste nicht im Sonnenlicht empfangen kann. Früher residierte meine
Familie im besten Viertel Valencias. Heute sind die, die von uns noch leben, in
alle Winkel dieser verrückten Welt verstreut. Die Familie Alvarado. Wie gesagt:
traurige Zeiten.«
    Alvarado, wiederholte
Bernina lautlos, ohne die Lippen zu bewegen. Sie betrachtete den Herrn, seine
schwarzen Augen, seine dezenten Gesten. Er besaß etwas, das sie überraschte.
Etwas Weiches, vielleicht sogar Würdevolles. Jedenfalls nichts, was sie mit den
Schrecken der Rose verbinden konnte. Und das irritierte sie ein wenig.
Aufmerksam lauschte sie dem Akzent, mit dem er ihre Sprache über die Lippen
gleiten ließ. Das hart gerollte R erinnerte sie nicht nur an die Männer, die in
Teichdorf die Macht an sich gerissen hatten. Es rief ihr auch Anselmos weiche
Stimme ins Gedächtnis, in dessen Redeweise ebenfalls dieses Rollende
mitschwang.
    »Dann wenden wir uns
doch einfach unserem Widersacher zu«, schlug Nils Norby vor. »Alles, was Sie
mir in Ippenheim sagten, war: Wir haben es mit einem Wolf zu tun.«
    »Und das ist nur beinahe
richtig. Denn eigentlich handelt es sich um eine Wölfin.«
    »Sie machen mich
neugierig, Herr Alvarado.« Der Schwede verzog die Lippen zu einem Lächeln,
während Bernina weiterhin schwieg.
    »Lassen Sie mich etwas
ausholen, Herr Hauptmann.« Ein Aufblitzen in den Augen. »Sie haben gewiss von
dem Aufstand in Katalonien gehört. Philipp IV., der spanische König, hat große
Probleme. Und vor allem: nicht mehr so viele Unterstützer wie früher. Ach ja,
früher. Da war meine Familie sehr angesehen, gerade auch bei Mitgliedern der
Königsfamilie. Unser Niedergang begann bereits vor über 20 Jahren. Mein Bruder,
Ernesto Alvarado, fiel in Ungnade. Nicht allein im Königshaus. Vor allem bei
mir und allen übrigen Alvarados. Es kam sogar zu einem Mord. Ein hoher Beamter
des Königs wurde umgebracht.«
    Von wem?, wunderte sich
Bernina, aber sie äußerte sich weiterhin nicht. So war es Norby, der die Frage
nach dem Täter stellte. Der Spanier allerdings winkte nur ab. »Der Mörder war
ein unbedeutender Spross unserer Familie. Gönnen wir ihm keine Aufmerksamkeit.
Nach seiner Tat kam so einiges ans Tageslicht. Zu viele Einzelheiten, um sie
jetzt auszubreiten. Jedenfalls blieb Ernesto nichts anderes übrig, als die
Flucht anzutreten. Seither hat man ihn hier nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Ernestos Gattin, meine Schwägerin, setzte sich bald darauf ab. Ein jahrelanger
Streit ums Vermögen fing an. Konflikte, Zerwürfnisse, Vorhaltungen. Meine
Schwägerin entstammt der Familie Lobo. Einstmals eine reiche, überall
respektierte Familie. Doch das war schon vor der Hochzeit mit meinem Bruder
lange vorbei. Elena Lobo y Alvarado. Eine hinterlistige Diebin.« Fast sah er
aus, als müsse er ausspucken.
    »Wie ging es weiter?«,
wollte Nils Norby nach einer kurzen Stille wissen.
    »Nach Ernestos Flucht
hat Elena uns Alvarados betrogen. Um viel Geld.« Der Spanier zischte wütend.
»Wir Alvarados sind am Ende. Das glauben die Leute in Valencia zumindest. Ich
bin der Einzige von ihnen, der noch etwas ausrichten kann. Diese Frau nahm
unser Vermögen, ließ es bei Nacht und Nebel aus dem Palast meines Bruders fortschaffen.
Gold und Edelsteine aus der Neuen Welt. Seit fünf Jahren verschanzt sie sich
nun in einer Festung. Sie wagt es längst nicht mehr, einen Fuß in diese Stadt
zu setzen. Ich will Rache. Und ich will die Chance nutzen, dem Namen Alvarado
auch im Königshaus wieder den Klang zu verleihen, den er verdient. Wie schon
erwähnt: König Philipp hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Er hat nichts
dagegen, wenn ich ihm wertvolle Hilfe zuteil

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