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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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verkauft,
Früchte, Zwieback, Mandeln, Olivenöl. Aber auch Vögel, die so bunt waren, dass
sie wie mit Pinseln angemalt wirkten, rot, grün, gelb – Bernina hatte nie zuvor
derartige Tiere gesehen. Um Kurzschwerter, Degen, Brustpanzer wurde offenbar
besonders hartnäckig gefeilscht. In einem großen Hinterhof fand ein Pferdemarkt
statt.
    Ein
neuerlicher Schwall der salzigen Luft hüllte sie ein, und auf einmal war die
Sicht frei auf den Hafen. Nils Norby grinste wild. »Sieh dir das an, Bernina!«
    Dutzende
Schiffe drängten sich aneinander wie zu groß geratene Lebewesen, leicht im Wind
schaukelnd. Schwärme von Arbeitern, überall war jemand, kein bisschen Freiraum.
»Das sind Zimmerleute und Takler«, erklärte Norby. »Dort hinten, Bernina.« Ein
Schiff lag seitlich am Strand, nur noch von wenig Wasser umspült. »Diese
Männer, das sind Kalfaterer. Sie müssen unter größter Vorsicht und Geschicklichkeit
die Ladung auf eine Seite des Schiffes verteilen, um es in diese Position zu
bringen. Dann müssen sie die Zeit, in der die Strömung nicht allzu stark ist,
nutzen, um den Rumpf zu schrubben und die Planken mit Werg neu abzudichten.«
    Sie
sah ihm an, dass er in früheren Zeiten ein Mann des Meeres gewesen war und wie
sehr ihn die See in Bann gezogen hatte.
    »Ich hätte große Lust«,
setzte er hinzu, »mit dir auf eines dieser Schiffe zu springen und abzulegen.«
    Ihre Blicke begegneten
sich, und Bernina sagte rasch: »Lass uns jetzt lieber zu der Kathedrale gehen.«
Sie drehte sich um und fühlte, dass er sie ansah, durchdringend, mit dieser
Wildheit, die vorhin in seinem Grinsen gelegen hatte.
    Den Hafen im Rücken,
bewegten sie sich langsam, irgendwo inmitten der zähen, lauten Menge durch die
Straßen, jetzt geradewegs auf das mächtige Bauwerk zu. Erst vor dem achteckigen
Glockenturm hielten sie inne, und Bernina bemerkte, wie Nils Norby die
umliegenden Gebäude nach und nach mit seinen Blicken absuchte.
    »Du bist immer noch bei
mir«, sagte er dann unvermittelt zu ihr.
    »Ja, das bin ich.«
    »Wenn du diese Villa
suchen willst …« Er ließ den Satz verklingen.
    Sie spürte selbst, wie
sehr es sie genau dazu drängte. Noch allerdings war ein Zögern in ihr. War es
doch besser, noch in Norbys Windschatten zu bleiben und sich überraschen zu
lassen, wohin ihn sein Weg führen mochte?
    Eine Stimme riss sie aus
ihren Grübeleien.
    »Hauptmann Norby!«
    Bernina und der Schwede
wirbelten herum.
    Ein Fremder näherte sich
ihnen, ein Mann von etwa 50 Jahren, dessen schwarzem Wams und der typisch
spanischen Halskrause anzusehen war, dass er zur besseren Gesellschaft gehörte.
Eine kleine elegante, ebenfalls schwarze Kopfbedeckung aus feinem Samt ließ
sein Haar noch weißer schimmern, als es in Wirklichkeit war.
    »Ein Zufall, dass wir
uns über den Weg laufen.« Er und Norby schüttelten einander die Hände.
»Eigentlich verlasse ich die eigenen vier Wände so gut wie nie. Es ist besser
für mich, mein Gesicht nicht allzu offen auf der Straße zu zeigen.«
    »Nach dem Haus, das Sie
mir beschrieben haben, hielt ich bereits Ausschau.«
    »Sie hätten es gewiss
gleich entdeckt.« Er deutete kurz auf ein unscheinbares Gebäude aus Sandstein,
das am Ende einer schmalen Gasse lag.
    »Da ist ja auch die gelb
gestrichene Eingangstür. Das war einer der wenigen Hinweise, die Sie mir gaben.
Die Kathedrale, die Seitenstraße, die gelbe Tür.«
    »Ja, Vorsicht ist eine
Tugend, Herr Hauptmann. Nun lassen Sie uns aus dem Gewimmel verschwinden. Meine
Heimstatt in Valencia ist nicht sehr prunkvoll, aber gerade deswegen hilfreich.
Ich bin stets um Unauffälligkeit bemüht.« Sein Blick streifte Bernina.
    »Das ist einer meiner
Soldaten«, erläuterte Norby. »Keine breiten Schultern, dafür erstaunliche
Fähigkeiten mit dem Degen.«
    Der Fremde gab ihr nicht
die Hand. »Gut«, erwiderte er nur, »die wird das Jüngelchen bald brauchen.«
    Am Haus angekommen,
erschien ein Diener, der die Pferde von Norby und Bernina wegführte. Zu dritt
betraten sie den engen Eingangsbereich. Von dort führte sie der Herr mit dem
schwarzen Wams nicht etwa in eines der Zimmer, sondern über eine Steintreppe
nach unten. »Die Wände haben Ohren«, meinte er. »Nur in der Erde ist das, was
man sagt, vor der Außenwelt sicher.«
    Dunkelheit, es roch
muffig, eine Luft aus Staub. Flügelweit öffneten sich Saaltüren, und
hintereinander gingen sie hindurch. Das flackernde Licht mehrerer Kerzen.
Wandbilder mit Rittern, Keilern, Bären, überzogen

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