Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
einen Blick zu gönnen. Ihr immer heftigeres Herzklopfen war ein sicheres Anzeichen, dass sie der Öffnung nahe war. Sie schloss die Augen und versuchte, sie sich vorzustellen und den Weg im Geiste zu »ertasten«. Ihre Besessenheit nahm zu und mit ihr die Überzeugung, dass dies der richtige Ort war.
»Der Eingang ist hier, ich weiß, dass er hier ist«, murmelte sie vor sich hin.
Die anderen spüren die Bedrohung durch die Vampire. Ihr müsst gehen, Joie , drang Traians leise, warnende Stimme in ihr Bewusstsein und brachte eine Unheil verkündende Kälte mit.
Oh, jetzt wirst du mir auch noch erzählen, du glaubtest an Vampire! Du bist nicht real, also sei still, und hör auf, mich abschrecken zu wollen. Ich gehe nicht eher, bis ich mir sicher bin. Sie dachte nicht daran, ihm Vampirgeschichten abzukaufen. Damit wollte er sie nur vertreiben.
Du weißt es schon; du kannst dir die Wahrheit nur nicht eingestehen. Ich sitze in dieser Höhle fest und werde dich nicht retten können, falls ihr ihnen begegnen solltet.
»Mich retten?« Joie schrie fast, und ihre grauen Augen blitzten vor Empörung. Als es ihr bewusst wurde, wandte sie sich schnell mit einem beruhigenden Lächeln zu ihrem Bruder und ihrer Schwester um.
Gabrielle und Jubal, die an Joies Selbstgespräche gewöhnt waren, wenn sie auf der Spur einer neuen Höhle war, wechselten einen langen amüsierten Blick. Nur wenige Leute waren so geschickt darin wie ihre jüngste Schwester, magische Welten unter der Erdoberfläche zu entdecken.
Mich retten? , zischte sie im Geiste. Du kannst mich ruhig beißen, Traian. Hast du eine Ahnung, wie ärgerlich es für jemanden wie mich ist, wie ein dummes kleines Ding behandelt zu werden, das sich nicht selbst zu helfen weiß? Da debattierte sie schon wieder mit der Stimme in ihrem Kopf! Dabei versuchte Joie immer noch zu entscheiden, ob alles nur Einbildung war oder real.
Ich hätte nichts dagegen, dich zu beißen . Diesmal lag eine eindeutige sexuelle Anspielung in seiner Stimme. Aber ein andermal wäre besser. Und jetzt mal ganz im Ernst, Joie, ich bin in Schwierigkeiten, und falls es dir durch irgendeinen Zufall tatsächlich gelingen sollte, zu mir zu gelangen, bin ich nicht sicher, ob ich dich und deine Begleiter hinreichend vor Schaden bewahren könnte.
Joie fröstelte unwillkürlich, obwohl gleichzeitig eine wohlige Wärme in ihrem Innersten erwachte. Wenn du so weitermachst, werden mein Bruder und meine Schwester mich für verrückt halten und einsperren lassen. Und wo wirst du dann sein? Zum Glück wehte der Wind ihr das dunkle Haar ins Gesicht und verbarg ihren Gesichtsausdruck vor ihren Geschwistern.
Und nur zu deiner Information, Sir Galahad – ich bin nicht der Typ, der gerettet werden muss, also schlag dir das am besten schnellstens aus dem Kopf. Du lieber Himmel! Zuerst sind es Vampire, und nun muss ich gerettet werden. Würdest du einfach mal die Klappe halten und mich meine Arbeit tun lassen? Denn vermutlich wirst du mir nicht den einen oder anderen Hinweis geben wollen, falls du tatsächlich da unten bist und weißt, wo der Eingang zu der Höhle ist.
Jubal legte sich im hohen Gras zurück, verschränkte die Arme im Nacken und beobachtete die Wolkenbildung. Der Nebel drang immer weiter vor und strömte in grauen, lang gezogenen Schwaden herab. Sie erinnerten an gigantische Hände, die sich nach ihnen ausstreckten. Einige der dichteren Nebelschleier reichten noch tiefer und schlängelten sich schon um Joies Beine, die jetzt wieder um das ausstreichende Gestein herumging, als würde sie wie magisch von der gleichen Stelle angezogen.
»Du bist wie ein Spürhund auf der Fährte eines Kriminellen«, sagte Jubal zu ihr, während er mit schmalen Augen die schlangenähnlichen Nebelfäden beobachtete. »Aus dir wäre ein prima Detektiv geworden.«
»Das stimmt«, pflichtete ihm Gabrielle mit einem kleinen Grinsen bei. Auch sie lag in dem hohen Gras, sah sich die strahlend blauen Blumen mit ihren symmetrischen Blüten an und wartete darauf, dass ihre Schwester für heute Schluss machte. Die Mengen von schönen Blumen waren ungewöhnlich, aber unter der Erde schien sich etwas Unheilvolles zu verbergen, eine obszöne, boshafte Präsenz, die nur Zentimeter weit entfernt war von den zarten Blüten.
Der Wind pfiff über den Hang. Die Blumen erzitterten, und einige schlossen sich sogar sehr schnell. Gabrielle schnappte nach Luft und zog die Beine an. Dann setzte sie sich auf und blinzelte verwirrt.
»Was ist?«,
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