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Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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ein.
    Joie bewegte sich erstaunlich schnell durch den schmalen Gang und war ihrem Bruder und ihrer Schwester bald schon weit voraus. Da die Decke immer niedriger wurde, war sie gezwungen, sich vorzubeugen, und irgendwann auf allen vieren und schließlich sogar auf dem Bauch voranzukriechen.
    »Es ist eng hier, Jubal!«, rief sie ihrem Bruder zu. Das Gefühl der Dringlichkeit, das sie vorantrieb, wurde nur von der wachsenden Anspannung in ihrem Magen gedämpft. Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Höhle.
    Normalerweise waren Höhlen ganz erstaunliche und wundervolle Orte. Faszinierend und geheimnisvoll, waren sie die letzte Grenze für jemanden wie Joie, die Wege gehen wollte, die noch niemand sonst gegangen war, um Dinge zu entdecken, die noch kein anderer zu erforschen gewagt hatte.
    Die Kühle des Felsgesteins um sie herum gefiel ihr, und das stetige Geräusch des aus zahllosen Spalten herausströmenden Wassers und die jähen, in absolute Finsternis abfallenden Kluften verstärkten noch die unwirkliche Erfahrung, auf dem Bauch durch eine schmale Felsspalte zu kriechen. Sie schlängelte sich weiter, bis sie die kühle Luft spüren konnte, die aus einer unterirdischen Kammer kam.
    Fast unmittelbar vor ihr befand sich ein weiterer Tunnel, eine Art Kanal, der in Hunderten von Jahren von dem stetig durch den Kalkstein hindurchrauschenden Wasser aus dem Fels herausgewaschen worden war. Sie betrat ihn ohne Zögern und ignorierte das ungute Gefühl in ihrem Magen, das ihr als Warnung vor kommenden Unheil hätte dienen sollen. Aber alles in ihr verlangte, dass sie weitermachte, selbst wenn sie sich nur mit den merkwürdigsten Verrenkungen durch den Tunnel schlängeln konnte.
    »Nicht so schnell, Joie«, warnte Jubal. »Bleib in unserer Sichtweite.«
    »Ihr Verhalten gefällt mir nicht«, flüsterte Gabrielle. »So habe ich sie noch nie erlebt. Sie hält sich sonst immer an die Sicherheitsvorschriften, das weißt du, Jubal. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.« Eine Welle der Übelkeit stieg in ihr hoch. Ihr drehte sich fast der Magen um, und eine schreckliche Beklommenheit erfüllte sie. »Etwas Furchtbares wird geschehen, wenn wir Joie nicht aufhalten.«
    Jubal wartete, aber Gabrielle hielt in dem schmalen Tunnel inne und blockierte ihm den Weg. »Geh weiter, Gabrielle«, sagte er. »Wir werden sie einholen und zur Vernunft bringen. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit Höhlenforschung und wird nicht alles vergessen haben, was sie je gelernt hat.«
    »Ja, aber seit sie in Österreich verletzt wurde, ist sie verändert«, gab Gabrielle zu bedenken. »Abwesend. Ruhelos. Getrieben.«
    »Sie ist immer sehr konzentriert, wenn sie in eine Höhle geht. Und eine bisher noch unerforschte wie diese hier ist eine große Entdeckung. Wir haben keine Ahnung, was wir finden werden. Natürlich ist Joie aufgeregt.«
    »Du weißt, dass es nicht nur das ist; sie war schon auf der ganzen Reise anders. Sogar vorher schon. Sie ist stiller. Und Joie war niemals still. Aber jetzt scheint sie die halbe Zeit mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Ich habe das Gefühl, als verlören wir sie, Jubal – als zöge sie irgendwas in eine andere Welt, in die wir ihr nicht folgen können.«
    Jubal seufzte schwer. »Ich wünschte, ich könnte behaupten, nicht zu wissen, was du meinst, doch all das ist genau der Grund, warum ich euch auf diese Reise begleitet habe. Auch ich bin sehr besorgt um sie gewesen.« Er streckte die Hand aus und stieß seine Schwester an. »Beweg dich! Ich kann sie jetzt nicht mal mehr hören.«
    »Ich kann mich nicht bewegen, Jubal.« Gabrielle klang sehr verängstigt. »Ich kann es wirklich nicht.«
    »Steckst du fest?« Nach außen hin blieb Jubal ganz ruhig, doch in Wahrheit beschlich ihn nun auch dieser heimtückische dunkle Schrecken.
    »Nein«, flüsterte Gabrielle. »Ich kann mich nur einfach nicht bewegen. Hast du schon mal den Ausdruck ›wie gelähmt vor Furcht‹ gehört? Ich glaube, genau das passiert mir gerade.«
    »Gabby«, sagte Jubal so ruhig und gefasst, wie er konnte. »Wovor hast du Angst?«
    »Ich weiß es nicht. Joie verhält sich so unkontrolliert und … Kannst du es nicht spüren? Die Höhle will uns nicht in ihrem Innern. Hörst du das Geräusch des Wassers? Diese Höhle ist böse, Jubal.«
    »Deine Fantasie geht mit dir durch, Gabrielle. Atme einfach mal tief durch. Du bist nicht klaustrophobisch und auch nicht abergläubisch. Falls Joie in Schwierigkeiten ist, müssen wir ihr helfen. Und das

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