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Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
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Bruder.
    »Ja, da sollte ich einsteigen, Gabrielle, weil ich ein Verrückter bin und einen elenden, aber noblen Tod sterben möchte«, sagte Jubal und zerzauste seiner Schwester das dunkle Haar. »Aber ich denke, ich halte mich lieber an meine Aktien und Fonds und lass dich deine verrückten Forschungen allein durchführen.«
    »Fühl mal!« Joie drehte sich aufgeregt zu ihrem Bruder um. »Der Berg atmet durch den Höhleneingang aus.«
    Jubal nickte zufrieden. »Na also. Du liebe Güte, seht euch das mal an! Wie üblich findet Joie den Eingang, und dieser hier ist wirklich ganz schön merkwürdig.«
    Ein Zittern durchlief den Berg, und er knarrte, als Jubal den letzten Stein in der Reihe ablegte, die er als Muster sah. Der Spalt verbreiterte sich, und der Fels setzte sich laut knirschend in Bewegung. Eiskalte Luft schlug ihnen entgegen, als bliese der Berg ihnen tatsächlich seinen Atem ins Gesicht.
    »Das hier ist von Menschenhand geschaffen und nichts Natürliches. Verdammt, Joie, geh da bloß nicht rein!« Jubal zog seinen Rucksack heran und nahm ein Notizbuch heraus, in dem er sorgfältig die Zeit eintrug. »Dies hier ist nur eine oberflächliche Untersuchung. Außerdem ist es schon kurz vor Sonnenuntergang, und niemand weiß, wo wir uns befinden.«
    Zu spät. Joie war zu aufgeregt, um abzuwarten, und beachtete nicht die althergebrachten Regeln, die sie sicherheitshalber stets befolgt hatten. Sie quetschte sich schon durch den Spalt und schleifte ihre Ausrüstung hinter sich her.
    Fluchend legte Jubal das Notizbuch neben die Spalte und beschwerte es mit zwei Steinen, um den Eingang für ein Rettungsteam zu kennzeichnen, falls sie sich in dem Netzwerk von Höhlen verirren sollten, in das sie im Begriff waren hinabzusteigen.
    Gabrielle schulterte ihre Ausrüstung und folgte Joie. »Der Eingang ist sehr schmal, Jubal«, warnte sie. »Gib mir deinen Rucksack, sonst kommst du hier nicht durch.«
    Jubal blickte ein letztes Mal zum Himmel auf und sah, dass die Wolken, die vorher noch so träge daran entlanggezogen waren, sich zu einer Unheil verkündenden, gewaltigen Masse zusammenballten. Die gesamte obere Hälfte des Berges war jetzt in Dunst gehüllt, der wie ein fantastischer weißer Schleier aussah, der langsam über das gesamte Bergmassiv gezogen wurde. Und Jubal und seine Schwestern befanden sich praktisch in den Wolken, vollkommen vom Tal und allem anderen abgeschlossen. Der Nebel war schon unter ihnen, breitete sich über den tieferen Feldern aus und machte den Geschwistern den Abstieg unmöglich, während auch das aufziehende Unwetter sich ihnen sehr schnell näherte.
    Entschlossen schob sich Jubal in den ausgezackten Spalt, wo er mit der Brust an der Kalksteinwand entlangschrammte, als er seinen viel größeren Körper in den schmalen Tunnel zwängte.
    Hinter ihm verstärkte sich der Wind mit einem jähen Heulen und peitschte über den Berg, während seltsame, gespenstische Schreie von den Gipfeln herunterschallten. Nebel umwogte die Bergspitze, angetrieben von einem kleinen Wirbelsturm, der Jubals Notizbuch unter den Steinen herausriss und es den Hang hinunterschleuderte, direkt in eines der vielen Torfmoore hinein, wo es in dem trüben Wasser langsam unterging.
    Der Berg stöhnte, Felsen ächzten. Der Boden unter ihren Füßen erbebte, schwankte und wellte sich von jähem Leben.
    »Festhalten!«, schrie Jubal seinen Schwestern zu. »Das ist ein Erdbeben.«
    Alle griffen nach irgendetwas, um sich festzuhalten. Joie fand zwei Löcher im Fels, in die sie die Finger stecken konnte, und hoffte, dass das schreckliche Gefühl der Angst in ihrem Bauch nicht bedeutete, dass sich auch der Tunnel selbst verlagern und verengen würde. Gabrielle ballte eine Hand zur Faust und stützte sich mit der anderen, flachen Hand dagegen ab. Sie biss sich auf die Lippe vor Angst, dass die Decke einstürzen würde. Jubal musste einen Undercling benutzen, einen Bergsteigergriff, bei dem man mit der Hand von unten unter einen Vorsprung greift, und konnte nur hoffen, nicht den Halt unter den Füßen zu verlieren, als der Boden erzitterte.
    Draußen vor dem Tunnel rollten Steine von der Felszunge weg und blieben in einem harmlos aussehenden Haufen direkt am Fuß der sich langsam verengenden Spalte im Fels liegen. Das unheilvolle Knirschen von Gestein schallte durch die Höhle und hallte in dem engen Tunnel wider. Dunkelheit legte sich über den Eingang, und die Geschwister schalteten schnell die in ihren Helmen eingebauten Lampen

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