Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
sie immer mehr an Stärke. Um keinen Angriff des seltsamen Wesens auszulösen, achtete sie darauf, sich so langsam wie möglich zu bewegen, als sie die Finger um den Griff ihres Messers legte und es Zentimeter für Zentimeter aus dem Gürtel zog.
Doch dann drückten starke Arme sie plötzlich an eine harte Brust, und sie konnte Traians angenehmen maskulinen Duft wahrnehmen. Ich habe dich , flüsterte er ihr im Geiste zu.
Joie spürte die elektrisierende Empfindung großer Macht, als Energie sich um sie aufbaute. Erleichtert, aber dennoch außerstande, das Zittern zu beherrschen, das sie durchlief, lehnte sie sich an Traian. Flammen entsprangen seiner Hand, ein Feuerball, der in dem aufgerissenen Maul der Kreatur landete und tief in ihrer Kehle explodierte. Sie stieß einen lang gezogenen, gellenden Schrei aus, der Eiszapfen zersplittern ließ. Wie ein Strom von Lava aus einem Vulkan wurden brennende Parasiten aus der Kreatur herausgeschleudert, die wie Asche auf Joie und Traian niederregneten.
Joie drückte das Gesicht an seine Brust. »Sie sind überall in meinem Haar.«
»Keine Bange, ich befreie dich davon«, beruhigte er sie mit sanfter Stimme. »Durch deinen Helm sind sie nicht an deinen Kopf herangekommen.«
Sie spürte den angenehmen warmen Luftstrom, mit dem Traian sie von dem widerlichen Zeug befreite, das auf sie herabgeregnet war. Der Gedanke an die winzigen Maden, die über ihre Haut krochen, war schlimmer als das Gefühl der unzähligen Grillen, die in der Eisröhre über sie gekrabbelt waren. Joie atmete tief ein, um ihre Lunge mit Luft zu füllen, und zwang sich, die Hand nach ihrem Eispickel auszustrecken, um ihn nicht zurückzulassen.
»Bist du verletzt? Gebissen worden? Sind diese Parasiten unter deine Haut gelangt?«
Sie schüttelte den Kopf, klammerte sich an Traians starken Körper und versuchte nicht einmal zu verbergen, wie schwer das Erlebnis sie erschüttert hatte. Traian bewegte sich so schnell mit ihr durch die Luft, dass die Kälte ihr ins Gesicht biss, ihre Arme lähmte und ihr die Tränen in die Augen trieb. Schutzsuchend barg sie das Gesicht wieder an Traians Brust und drückte sich ganz fest an die Wärme seines Körpers, um sich ein paar Momente der Erholung zu gönnen, bevor sie ihren Geschwistern gegenübertrat.
»Du lehrst mich, was es bedeutet, Angst zu haben«, bemerkte er.
»Wirklich? Und ich dachte, es sei umgekehrt. Ich glaube nämlich nicht, dass deine Welt die ruhige Umgebung ist, in der eine Frau wie ich sein sollte.« Es beschämte sie, wie ihre Stimme zitterte. »Denn ehrlich gesagt, Traian, ist dies hier ein überaus beängstigender Ort. Und ich bin nicht gerade bekannt dafür, Orte oder Situationen beängstigend zu finden. Deshalb will ich nicht, dass Gabrielle und Jubal mich so sehen. Und es ist mir auch vor dir ein bisschen peinlich.«
»Mutig zu sein bedeutet nicht, keine Angst zu haben.«
»Das ist wahr. Doch es muss ja nicht jeder wissen, dass mir buchstäblich die Knie zittern.«
»Ich bin nicht ›jeder‹, sondern dein Seelengefährte, die andere Hälfte deiner Seele. Wir verbergen unsere Gefühle nicht voreinander. Ich muss immer wissen, wie du dich fühlst oder ob du in irgendeiner Form verletzt bist.«
»Ich weiß nicht, was du damit sagen willst. Und ich verstehe auch nichts von deiner Art zu leben. Was war das vorhin?« Wieder durchlief sie ein Erschaudern. »Ich bin in Höhlen auf der ganzen Welt gewesen, und noch nie ist mir so etwas begegnet wie die Dinge, die wir hier vorfinden.«
»Keine Ahnung, was das war. Ich habe so etwas auch noch niemals gesehen. Ich war auf dem Weg in meine Heimat, als ich den Vampiren begegnete. Dass sie in Rudeln unterwegs waren, war so ungewöhnlich, dass ich mehr über sie herausfinden musste. Dummerweise waren sie in der Überzahl und wurden von drei Meistervampiren angeführt, was eine echte Katastrophe für mich war. Meistervampire sind nämlich sehr alte und erfahrene Vampire, die jüngere dazu benutzen, für sie zu jagen und die Beute zu schwächen und zu zermürben, bevor sie selbst zuschlagen.«
» Beute . Es gefällt mir nicht, wie sich das anhört.« Wieder erschauderte sie heftig. »Übrigens fliegen wir so schnell, dass man meinen sollte, wir hätten die andere Seite längst erreicht.«
»Mit Gabrielle und Jubal dauerte es etwas länger, weil wir jede Menge Fallen entlang des Weges entdeckten, der in einen Tunnel führt. Ich musste deine Geschwister tiefer in den Berg hineinbringen. Wir werden den
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