Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feehan
Vom Netzwerk:
die Membran und rissen sie auseinander. Der Kopf des Organismus schaute jetzt daraus hervor. Dann schlängelte die Kreatur sich aus dem Loch und ließ sich aus dem schleimigen Tümpel auf den vereisten Boden fallen. Winzige Würmer schossen aus der zurückgelassenen Öffnung, und während einige in den dicken Urschleim fielen, krochen andere aufgeregt um das etwa dreißig Zentimeter lange Tier herum.
    Joie wollte nichts von alldem berühren, nicht einmal mit ihrer Ausrüstung. Das raupenähnliche Wesen öffnete das Maul, als fauchte es sie an. Seine dolchartigen Zähne sahen aus, als bestünden sie aus Eis, doch diese scharfen, spitzen Zähne waren leider sehr real. Aus zwei Eckzähnen, die krumm waren wie die Sense des Schnitters Tod, tropfte gelbes Gift und formte sich zu Schoten aus dickem, bernsteinfarbenem Schleim.
    Wieder trat Joie einen Schritt zurück, um Abstand zwischen sich und das ekelhafte Ding zu bringen, als es näher kroch. Sie überlegte kurz, ob sie darüberspringen sollte, aber der Tümpel vergrößerte sich ständig, und nun schwärmten auch die winzigen Maden über das Eis in ihre Richtung aus.
    Wo bist du, Traian?
    Auf dem Rückweg.
    Selbst die ruhige Zuversicht und Gelassenheit in Traians Stimme halfen nicht. Er würde zu spät kommen. Der seltsame Organismus hatte Joie schon fast erreicht. Sie musste schnell eine Entscheidung treffen. Den Eispickel in der Hand, überlegte sie fieberhaft, welche Körperstelle des Tieres die beste war, um es zu töten. Sollte sie ihm den Schädel spalten oder ihn besser gleich abtrennen? Eins jedoch wusste sie mit absoluter Sicherheit: dass sie nur eine einzige Chance bekommen würde.
    Plötzlich warf die Kreatur den Kopf zurück, riss das Maul auf und entblößte die dolchartigen Zähne, die krummen, giftigen Eckzähne und noch mehr dieser gelblichen Schoten, die in seinem Rachen steckten. Für einen Moment starrte Joie in ein bodenloses schwarzes Loch, im nächsten stürzten sechs schlangenähnliche Köpfe auf sie zu, die in einem derartigen Tempo aus dem Maul hervorschossen, dass Joie zurücksprang, um den gefletschten Zähnen zu entgehen. Dabei brach das Eis um den Rand des Abgrunds ab, und sie stürzte ins Leere.
    Geistesgegenwärtig schlug sie den Eispickel in die Wand und hielt mit den Armen ihr Gewicht, als sie abrupt zum Halten kam. Nach einem tiefen Atemzug blickte sie sich vorsichtig um. Was unter ihr war, konnte sie nicht erkennen, dazu ging es viel zu tief hinunter, doch an den Wänden des Abgrunds hingen dicke Eiskugeln – kein gutes Zeichen! Da sie noch keine Zeit gehabt hatte, die Steigeisen wieder an ihren Stiefeln zu befestigen, konnte sie auch keinen richtigen Halt an dieser Eiswand finden.
    Ich bin in Schwierigkeiten, Traian.
    Ein ominöses Scharren über ihrem Kopf schreckte sie auf, und als sie aufblickte, sah sie gerade noch Eis herunterfallen. Zu ihrem Entsetzen regnete es Schneeflocken auf sie herab. In Wahrheit aber waren es widerliche kleine Parasiten, die sich auf ihren Kopf und ihre Schultern fallen ließen. Sie musste sich zwingen, die Beherrschung zu bewahren, um nicht dem Impuls zu erliegen, die Dinger abzuschütteln. Das scharrende Geräusch weiter oben setzte sich fort und wurde jetzt sogar noch lauter. Schnell riskierte Joie einen weiteren Blick hinauf. Die raupenähnliche Kreatur schien sogar noch größer geworden zu sein, denn ihr Maul, das über den Rand hing, sah jetzt riesig aus, und die kalten roten Augen starrten Joie unvermindert böse an. Dann riss das Ding sein Maul weit auf und ließ sie seine scharfen Zähne und die giftigen, krummen Fänge sehen.
    Joies Herz setzte einen Schlag aus, bevor es so hart zu pochen begann, dass es ihr schier die Brust zu sprengen drohte. Diese abscheulichen Schlangenköpfe würden sich jetzt jeden Augenblick auf ihr Gesicht stürzen und ihr Bisse zufügen, die sie ganz bestimmt nicht überleben würde. Sie würde ihre Rettungsleine – in diesem Fall ihren Eispickel – mit einer Hand loslassen und nach ihrem Messer greifen müssen. Falls das Ding da oben wirklich schnell war, würde sie nur eine einzige und auch nur sehr geringe Chance haben.
    Joie schluckte krampfhaft. Ohne den Blick von den monströsen roten Augen abzuwenden, die mit solcher Bosheit zu ihr hinunterblickten, lockerte sie den Griff um den Eispickel und verlagerte ihr Gewicht auf einen Arm. Da sie praktisch von klein auf schon geklettert war, hatte sie die nötige körperliche Kraft dazu, doch durch die Kälte verlor

Weitere Kostenlose Bücher