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Die Sehnsucht der Pianistin

Die Sehnsucht der Pianistin

Titel: Die Sehnsucht der Pianistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Nachtigall Nora Roberts
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vor ein paar Tagen aus dem Postamt kommen, Mrs. Driscoll.“ Er machte eine Eintragung auf ihrem Krankenblatt. „Sie haben Ihren Stock gar nicht benutzt.“
    Sie schnaubte empört. „Krückstöcke sind was für alte Leute.“
    Er hob eine Braue. „Als Arzt muss ich Ihnen sagen, dass Sie alt sind, Mrs. Driscoll.“
    Sie lachte gackernd und drohte ihm mit dem Finger. „Du hattest schon immer ein vorlautes Mundwerk, Brady Tucker.“
    „Ja, aber jetzt habe ich außerdem meine Approbation als Arzt.“ Er nahm ihre Hand und half ihr vom Untersuchungstisch. „Und ich möchte, dass Sie diesen Stock benutzen – und wenn es nur wäre, um John Hardesty eins überzuziehen, wenn er mit Ihnen flirten will.“
    „Der alte Bock“, schmunzelte sie. „Aber ich würde auch wie eine alte Ziege aussehen, wenn ich an einem Stock herumhumpelte.“
    „Gehört Eitelkeit etwa nicht zu den sieben Todsünden?“
    „Wozu erst sündigen, wenn es keine Todsünde ist? Mach, dass du rauskommst, Junge, damit ich mich anziehen kann.“
    „Zu Befehl, Ma’am.“ Kopfschüttelnd ging er hinaus. Sie würde niemals dazu zu bewegen sein, den Stock zu benutzen. Sie gehörte zu den wenigen Patienten, denen er keinen Respekt einflößte.
    Nach weiteren zwei Stunden Praxisroutine fuhr er in der Mittagspause ins Washington County Hospital, um bei zwei Patienten Visite zu machen. Ein Apfel und ein paar Cracker halfen ihm über den Nachmittag. Einige Patienten erwähnten, dass Vanessa Saxton wieder in der Stadt sei, wobei sie vieldeutig grinsten und zwinkerten. Von dem einen oder anderen bekam er auch einen wohlmeinenden Puff mit dem Ellbogen.
    Typisch Kleinstadt, dachte er, als er zwischen zwei Patienten fünf Minuten ausspannte. Die Leute wussten alles über jeden, und sie hatten ein gutes Gedächtnis. Vanessa und er hatten vor zwölf Jahren ein kurzes Techtelmechtel gehabt, aber es war, als hätte man es in Stein gemeißelt und nicht nur in einen der Parkbäume geritzt.
    Er hatte sie schon fast vergessen gehabt, außer wenn sie in der Presse erwähnt wurde, oder wenn er sich eine ihrer Platten anhörte, die er grundsätzlich kaufte … aus alter Freundschaft sozusagen. Manchmal hatte ihn auch eine Frau mit einer bestimmten Bewegung oder Geste an sie erinnert.
    Aber das waren nichts weiter als Jugenderinnerungen. Sie waren damals kaum mehr als Kinder gewesen, die es nicht erwarten konnten, erwachsen zu werden. Alles, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, war schön und unschuldig gewesen. Lange Küsse im Mondschein, leidenschaftliche Versprechungen und ein paar verbotene Zärtlichkeiten.
    Die Erinnerung daran sollte eigentlich nicht wehtun, dennoch presste er unwillkürlich die Hand in die Herzgegend.
    Damals hatten sie die Sache sehr ernst genommen, weil Vanessas Vater strikt dagegen war. Je entschiedener Julius Saxton gegen ihre aufblühende Verliebtheit anging, desto näher waren sie einander gekommen. Eine typische Reaktion bei jungen Leuten, dachte Brady. Und er hatte den zornigen jungen Mann perfekt gespielt. Er hatte Drohungen ausgestoßen und Versprechungen gemacht, wie sie nur ein Achtzehnjähriger fertigbrachte.
    Wenn alles normal verlaufen wäre, hätten sie sich wahrscheinlich nach ein paar Wochen schon wieder vergessen.
    Oder nicht? Er verzog die Mundwinkel. Nie zuvor war er so verliebt gewesen wie damals in Vanessa. Damals, in dieser verrückten Zeit, als er gerade achtzehn geworden war und alles und jedes für möglich hielt.
    Sie hatten nie miteinander geschlafen, was er bitter bereut hatte, nachdem sie aus seinem Leben verschwunden war. Im Nachhinein sah er ein, dass es so am besten gewesen war. Sonst wäre es ihnen jetzt als Erwachsenen viel schwerergefallen, einfach nur Freunde zu sein.
    Und das war es, was er wollte, wie er sich immer wieder versicherte. Er hatte nicht die Absicht, ihretwegen wieder den Kopf zu verlieren. Zugegeben, für einen Augenblick hatte ihm das Herz bis in den Hals geschlagen, als er sie dort am Klavier sitzen sah. Aber das war eine ganz normale Reaktion. Immerhin war sie eine schöne Frau und einmal sein Mädchen gewesen. Und wenn er sich gestern Abend in der Schaukel in der Dämmerung nach ihr gesehnt hatte, so war das auch nur allzu menschlich. Aber deshalb war er trotzdem kein Narr.
    Vanessa Saxton war nicht mehr sein Mädchen, und als Frau wollte er sie auch nicht.
    „Dr. Tucker!“ Eine der Sprechstundenhilfen steckte den Kopf durch die Tür. „Ihr nächster Patient wartet.“
    „Komme

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