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Die Sehnsucht der Pianistin

Die Sehnsucht der Pianistin

Titel: Die Sehnsucht der Pianistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Nachtigall Nora Roberts
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schöner, als er sie in Erinnerung hatte, und noch zerbrechlicher. Wenn er sie damals in New York getroffen hätte, unter weniger romantischen Umständen als jetzt, hätte er sich dann auch so zu ihr hingezogen gefühlt? Vielleicht wollte er es gar nicht wissen.
    Jetzt hatte er sie nur um ihre Freundschaft gebeten, und er gab sich Mühe, nicht mehr zu wollen. „Du siehst sehr müde aus, Vanessa. Auch deine Gesichtsfarbe könnte besser sein.“
    „Es war ein hektisches Jahr.“
    „Schläfst du gut?“
    Sie schob seine Hand fort. „Spiel jetzt bloß nicht Onkel Doktor mit mir, Brady.“
    „Im Augenblick könnte ich mir gar nichts Schöneres vorstellen. Aber es ist mir Ernst, Vanessa. Du bist abgearbeitet.“
    „Nur ein bisschen müde. Darum mache ich ja auch eine Pause.“
    Das stellte ihn jedoch überhaupt nicht zufrieden. „Warum kommst du nicht zu einer Untersuchung in die Praxis?“
    „Ist das deine neue Masche? Früher hieß es immer: ‘Fahren wir hinunter zu Molly’s Hole.’“
    „Dazu kommen wir später. Dad kann dich ja untersuchen.“
    „Ich brauche keinen Arzt.“ Kong kam zurück, und sie streichelte ihn. „Ich bin niemals krank. In fast zehn Jahren habe ich nicht einmal ein Konzert aus Krankheitsgründen absagen müssen.“ Ihr Magen meldete sich wieder, und sie drückte ihr Gesicht in Kongs Fell. „Ich gebe zu, dass es mir nicht leichtgefallen ist, herzukommen. Aber damit werde ich schon fertig.“
    Eigensinnig wie immer, dachte er. Vielleicht war es am besten, wenn er sie in den nächsten paar Tagen einfach im Auge behielt – auf berufliche Art natürlich. „Trotzdem würde Dad sich über deinen Besuch freuen, privat, meine ich.“
    „Ich schaue demnächst mal bei ihm vorbei.“ Sie wandte den Kopf, und er sah das vertraute Glimmen in ihren Augen. „Joanie sagt, du hast mit deinen weiblichen Patienten alle Hände voll zu tun, und das Gleiche dürfte auch auf deinen Vater zutreffen, wenn er immer noch so attraktiv ist.“
    „Er hatte ein paar … ganz interessante Angebote. Aber das hat sich gegeben, seit er deine Mutter hat.“
    Vanessa fuhr geschockt hoch. „Meine Mutter? Und dein Vater?“
    „Es ist die heißeste Romanze der Stadt.“ Er strich ihr das Haar hinters Ohr. „Bis jetzt.“
    „Meine Mutter“, wiederholte sie.
    „Sie ist eine attraktive Frau im besten Alter, Vanessa. Warum sollte sie wie eine Nonne leben?“
    Vanessa presste die Hand auf den Magen und stand auf. „Ich gehe jetzt hinein.“
    „Was ist los?“
    „Nichts. Ich gehe nur hinein. Mir ist kalt.“
    Er nahm sie bei den Schultern – eine Geste, die auch eine Flut von Erinnerungen auslöste. „Lass sie doch in Frieden“, sagte er eindringlich. „Gott weiß, sie ist gestraft genug.“
    „Davon verstehst du nichts.“
    „Mehr, als du glaubst.“ Er schüttelte sie ungeduldig. „Lass es sein, Vanessa. Diese alten Geschichten machen dich ganz kaputt.“
    „Für dich ist es leicht“, stieß sie bitter hervor. „Für dich war es immer leicht. Du hattest eine glückliche Familie, wusstest immer, dass sie dich liebten. Egal, was du tatest, dich hat niemand weggeschickt.“
    „Sie hat dich nicht weggeschickt, Vanessa.“
    „Sie ließ mich gehen“, sagte Vanessa tonlos. „Wo liegt da der Unterschied?“
    „Warum fragst du sie nicht?“
    Kopfschüttelnd machte sie sich frei. „Vor zwölf Jahren hörte ich auf, ihr kleines Mädchen zu sein. Damals hörte vieles für mich auf.“ Sie drehte sich um und ging ins Haus.

3. KAPITEL
    I n dieser Nacht hatte Vanessa nur stundenweise geschlafen. Sie hatte Schmerzen gehabt, aber daran war sie gewöhnt. Sie unterdrückte sie mit Medikamenten, aber vor allem durch ihren starken Willen.
    Sie war drauf und dran gewesen, hinüber ins Zimmer ihrer Mutter zu gehen, hatte sich dann aber doch nicht dazu durchringen können. Sie hatte kein Recht, ihrer Mutter die Beziehung zu einem anderen Mann vorzuwerfen. Trotzdem tat sie es. In all den Jahren, die Vanessa mit ihrem Vater verbracht hatte, hatte er sich nie einer anderen Frau zugewandt. Und falls, dann so diskret, dass sie es nicht gemerkt hatte.
    Und was macht es schon aus, fragte sie sich, als sie sich am Morgen anzog. Sie hatten ja auch früher immer ihr eigenes Leben geführt, obwohl sie im selben Haus wohnten.
    Aber es machte etwas aus. Es machte etwas aus, dass ihre Mutter all die Jahre in diesem Haus gelebt hatte, ohne irgendeinen Kontakt zu ihrem einzigen Kind zu suchen. Dass sie ein neues Leben begonnen hatte, in

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