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Die Sehnsucht der Pianistin

Die Sehnsucht der Pianistin

Titel: Die Sehnsucht der Pianistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Nachtigall Nora Roberts
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dem es keinen Platz für ihre Tochter gab.
    Es ist Zeit, dachte Vanessa. Höchste Zeit sie zu fragen, warum.
    Als sie die Treppe herunterkam, stieg ihr der Duft von Kaffee und frischem Brot in die Nase. Sie entdeckte ihre Mutter in der Küche an der Spüle. Loretta trug ein hübsches blaues Kleid und Perlen in den Ohren und um den Hals. Das Radio spielte leise, und sie summte vor sich hin, auch noch, als sie sich umdrehte und ihre Tochter erblickte.
    „Oh, du bist schon auf?“ Loretta lächelte und hoffte, dass es natürlich wirkte. „Ich wusste nicht, ob ich dich heute Morgen noch sehen würde, bevor ich gehe.“
    „Bevor du gehst?“
    „Ich muss zur Arbeit. Da sind ein paar Brötchen, und der Kaffee ist noch heiß.“
    „Zur Arbeit?“, wiederholte Vanessa. „Wo?“
    „Im Laden.“ Um ihre fahrigen Hände zu beschäftigen, schenkte sie Vanessa eine Tasse Kaffee ein. „Im Antiquitätenladen. Ich habe ihn vor rund sechs Jahren gekauft. Er gehörte früher den Hopkins, wenn du dich erinnerst. Ich habe für sie gearbeitet, nachdem … ein paar Jahre lang. Als sie in den Ruhestand gingen, habe ich das Geschäft übernommen.“
    Ungläubig schüttelte Vanessa den Kopf. „Du führst ein Antiquitätengeschäft?“
    „Nur ein kleines.“ Loretta stellte den Kaffee auf den Tisch. Sobald ihre Hände leer waren, begannen sie an der Perlenkette zu zupfen. „Ich nenne ihn ‘Lorettas Stübchen’. Das findest du sicher albern, aber der Laden läuft ganz gut. Ich habe ihn für ein paar Tage geschlossen … Wenn du willst, kann ich es auch noch ein paar Tage dabei belassen.“ Nachdenklich sah Vanessa ihre Mutter an. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie wohl mit einem Geschäft zurechtkam. Da gab es Inventuren, Buchhaltung und dergleichen mehr. Und Antiquitäten? Hatte sie sich je dafür interessiert? „Nein.“ Die Unterredung musste offenbar noch warten. „Geh ruhig ins Geschäft.“
    „Wenn du magst, kannst du ja später einmal herüberkommen und dich umsehen.“ Loretta nestelte an einem Knopf. „Es ist nur ein kleiner Laden, aber ich habe viele interessante Stücke da.“
    „Mal sehen.“
    „Bist du denn sicher, dass du hier allein zurechtkommst?“
    „Ich bin schon ziemlich lange allein gewesen.“
    Loretta senkte den Blick. „Ja, natürlich. Normalerweise komme ich gegen halb sieben nach Hause.“
    „In Ordnung. Dann sehen wir uns heute Abend.“ Vanessa ging zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf. Sie brauchte ein Glas Wasser, kalt und klar.
    „Vanessa?“
    „Ja?“
    „Ich weiß, ich muss viele Jahre wiedergutmachen.“ Loretta stand im Türrahmen. „Ich hoffe, du gibst mir eine Chance.“
    „Das möchte ich.“ Mit einer hilflosen Geste öffnete sie die Hände. „Ich weiß nur nicht, wo wir anfangen sollen.“
    „Ich auch nicht.“ Loretta lächelte zögernd, aber schon ein wenig entspannter. „Na, vielleicht war das ja schon ein Anfang. Ich hab dich lieb, und ich wäre glücklich, wenn du es glauben könntest.“ Sie wandte sich rasch um und ging.
    „Oh Mom“, sagte Vanessa in das leere Zimmer. „Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
    „Mrs. Driscoll.“ Brady klopfte der dreiundachtzigjährigen Dame auf das knochige Knie. „Sie haben das Herz einer zwanzigjährigen Sportlerin.“
    Sie kicherte, wie er es erwartet hatte. „Es ist nicht mein Herz, das mir Sorgen macht, Brady. Es sind die Knochen. Die tun teuflisch weh.“
    „Vielleicht sollten Sie mal einen Ihrer Urenkel im Garten Unkraut jäten lassen.“
    „Seit sechzig Jahren mache ich das selber …“
    „Und würden es am liebsten auch noch weitere sechzig tun“, fiel er ihr ins Wort und schob das Blutdruckmessgerät beiseite. „Niemand weit und breit hat bessere Tomaten als Sie, aber wenn Sie es nicht ein bisschen langsamer angehen lassen, dann tun Ihre Knochen eben weh.“ Er nahm ihre Hände. Sie wirkten drahtig und waren noch nicht von Arthritis befallen. Aber in ihren Schultern und Knien steckte die Krankheit, und Brady konnte wenig dagegen tun.
    Er beendete seine Untersuchung und hörte geduldig zu, wie sie von ihrer Familie erzählte. Sie war in der Mittelstufe seine Lehrerin gewesen, und schon damals war sie ihm steinalt vorgekommen. Nach rund fünfundzwanzig Jahren war die altersbedingte Kluft zwischen ihnen ein wenig schmaler geworden, aber er wusste, dass sie ihn noch immer für den kleinen Tunichtgut hielt, der das Goldfischglas umwarf, nur um zu sehen, wie der Fisch über den Boden hüpfte.
    „Ich sah Sie

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