Die Sehnsucht der Pianistin
esse?“
„Weil du vorher nicht genug gegessen hast. Kein Wunder bei einem Magengeschwür.“
„Ich habe keins.“ Aber sie spürte noch immer die Stelle, wo er gedrückt hatte – allerdings auch noch aus einem anderen Grund. „Würdest du mir jetzt bitte aus dem Weg gehen?“
„Erst musst du Wegezoll entrichten.“ Bevor sie protestieren konnte, presste er seine Lippen auf ihre, fest und besitzergreifend. Er umschlang sie und murmelte ihren Namen, bis sie sich fest an ihn klammerte, um nicht die Balance zu verlieren. Sie hatte das Gefühl, plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben. Sie spürte nur seine Schenkel an ihren, seine Finger in ihrem Haar und seinen Mund hungrig und ungeduldig auf ihren Lippen.
Sie roch nach Morgen und nach Regen. Er fragte sich, wie es wohl sein würde, sie im diffusen Licht der Dämmerung zu lieben. Und er fragte sich, wie lange er wohl noch darauf warten musste.
Er hob den Kopf, ohne die Hand aus ihrem Haar zu nehmen, und blickte sie an. Im verschleierten Grün ihrer Augen sah er sich selbst, verlor sich in ihnen. Sanft und mit so viel Zärtlichkeit, dass ihr wild pochendes Herz sich beruhigte, küsste er sie noch einmal.
Sie presste sich an ihn. Die Beine drohten unter ihr nachzugeben. Sie hob ihm das Gesicht entgegen, und ihre fordernden Lippen fanden sich mit dem gleichen Verlangen.
„Vanessa …“
„Sag nichts … noch nicht.“ Sie schmiegte das Gesicht an seinen Hals. Sie musste über alles nachdenken, aber im Augenblick – nur für einen Augenblick – wollte sie sich ihren Gefühlen hingeben.
Vanessas Lippen spürten das Klopfen des Pulses an seinem Hals. Sein Körper war stark und fest. Allmählich ließ der Druck seiner Arme nach, und sie spürte, wie er ihr sacht durchs Haar strich. Jetzt drang auch das Prasseln des Regens an den Fensterscheiben wieder in ihr Bewusstsein.
Aber die Sehnsucht und das Verlangen in ihr wollten nicht weichen, und auch nicht die Verwirrung in ihrem Innern.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, sagte sie schließlich. „Ich konnte noch keinen klaren Gedanken fassen, seitdem wir uns wiedergesehen haben.“
Ihr leises Geständnis entfachte neue Erregung in ihm. Seine Hände glitten zu ihren Schultern und griffen fester zu, als es seine Absicht war. „Ich will dich, Vanessa, und du willst mich auch. Wir sind keine Teenager mehr.“
Sie trat zurück, so weit seine Arme es erlaubten. „Es ist nicht leicht für mich.“
„Nein. Ich glaube, das will ich auch gar nicht. Wenn es dir um Versprechen geht …“
„Nein“, unterbrach sie ihn hastig. „Ich will nichts, das ich nicht zurückgeben könnte.“
Brady war bereit gewesen, Versprechen zu geben … so viel sie wollte. Er schluckte sie hinunter und rief sich in Erinnerung, dass er schon immer zu ungeduldig gewesen war, was Vanessa betraf. „Wann bist du dann bereit?“
„Ich weiß es nicht.“ Sie legte ihre Hände auf seine, drückte sie kurz und trat zurück. „Ach, Brady, ich komme mir vor wie in einem schlechten Theaterstück.“
„Es ist aber die Wirklichkeit, Vanessa.“ Er musste sich zusammenreißen, um nicht wieder nach ihr zu greifen. Dann fielen ihm jedoch die Worte seines Vaters wieder ein, und er hielt sich zurück. „Hier geht es um dich und mich.“
Sie sah ihn an – die blauen Augen mit den dunklen Wimpern, das feuchte, zerzauste Haar, die störrische Kinnlinie und den so unglaublich verführerischen Mund. Es war so leicht, sich zu erinnern, weshalb sie ihn geliebt hatte … und weshalb sie es vielleicht noch immer tat.
„Ich will gar nicht vorgeben, dass ich mir nicht wünsche, mit dir zusammen zu sein. Gleichzeitig aber drängt es mich, fortzulaufen, so schnell ich kann.“ Sie seufzte tief auf. „Und dabei hoffe ich inständig, du kommst mir nach und holst mich ein. Ich verstehe vollkommen, dass du mich für launenhaft halten musst, weil ich mich ja auch so benehme. Das liegt daran, dass ich nicht erwartet hatte, dich hier vorzufinden, und dass all diese alten Gefühle wieder aufbrechen würden. Und genau da liegt das Problem. Ich weiß nicht, inwieweit meine Gefühle echt oder nur Erinnerung sind.“
„Wir haben uns verändert, Vanessa.“
„Ja.“ Sie war jetzt ganz ruhig. „Mit sechzehn wäre ich überall mit dir hingegangen, Brady. Ich wollte, dass wir für immer zusammenbleiben und eine Familie gründen.“
„Und jetzt?“, fragte er behutsam.
„Jetzt wissen wir beide, dass die Dinge nicht so einfach sind. Wir
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