Die Sehnsucht der Pianistin
Narren zu machen, und genau das hatte sie getan, als sie ausgerechnet in Joanies Garten umgekippt war. Zu allem Übel hatte Brady sie dann auch noch ins Bett gebracht und wie eine wehleidige Patientin behandelt.
Ein Magengeschwür. Lächerlich! Sie war stark, fähig und selbstbewusst – keine Kandidatin für ein Magengeschwür. Unbewusst presste sie die Hand auf ihren Magen.
Der nagende Schmerz, der sie nun schon so lange peinigte, war fast verschwunden und hatte sie nicht mehr Nacht für Nacht wach gehalten. Tatsächlich hatte sie in den letzten zwei Nächten wie ein Baby durchgeschlafen.
Reiner Zufall. Sie hatte lediglich Ruhe gebraucht, Ruhe und ein bisschen Abgeschiedenheit. Der vollgepackte Terminkalender der vergangenen Jahre konnte auch den stärksten Mann umwerfen.
Deshalb würde sie sich noch einen, vielleicht auch zwei Monate dessen gönnen, was man in Hyattown Frieden und Erholung nannte, bevor sie sich wieder um ihre Karriere kümmerte.
An der Küchentür blieb sie überrascht stehen. Sie hatte nicht erwartet, Loretta dort vorzufinden. Im Gegenteil, sie hatte absichtlich gewartet, bis sie hörte, wie die Haustür sich öffnete und dann ins Schloss fiel.
„Guten Morgen.“ Loretta, adrett wie immer, strahlte sie an.
„Ich dachte, du wärst schon fort.“
„Nein, ich bin schnell hinüber in Lesters Laden gelaufen und habe eine Zeitung geholt.“ Sie wies auf die Zeitung, die sauber gefaltet neben dem Gedeck auf dem Küchentisch lag. „Ich dachte, es interessiert dich vielleicht, was in der Welt vorgeht.“
„Vielen Dank.“ Gereizt blieb Vanessa im Türrahmen stehen. Es ärgerte sie, dass es sie noch immer aus dem Konzept brachte, wenn Loretta eine freundlich-mütterliche Geste machte. Vanessa war ihr zwar dankbar dafür, aber irgendwie war es die Dankbarkeit eines Gastes gegenüber der Großzügigkeit der Gastgeberin. Und deswegen fühlte sie sich schuldig und herzlos. „Du hättest dir nicht die Mühe machen sollen.“
„Keine Mühe. Setz dich doch, Liebes. Ich mache dir einen Tee. Mrs. Hawbaker hat mir etwas Kamille aus ihrem Kräutergarten herübergeschickt.“
„Wirklich, du brauchst nicht …“ Vanessa brach ab, denn es klopfte an der Hintertür. „Ich gehe schon.“
Sie öffnete die Tür, wobei sie sich eindringlich versicherte, dass sie gar nicht wünschte, es möge Brady sein. Es war ihr herzlich egal, ob es Brady war. Und sie war auch nicht ein bisschen enttäuscht, als der Besucher sich als weibliches Wesen entpuppte.
„Vanessa!“ Eine brünette Frau, die sich unter ihren tropfenden Regenschirm duckte, lächelte Vanessa zu. „Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht mehr an mich. Ich bin Nancy Snooks, früher Nancy McKenna, Josh McKennas Schwester.“
„Nancy! Nun, ich …“
„Nancy, komm herein.“ Loretta eilte zur Tür. „Mein Gott, das gießt ja wie aus Kannen.“
„Dieses Jahr brauchen wir uns wegen einer Dürre bestimmt keine Sorgen zu machen.“ Nancy blieb auf der Schwelle stehen und trat von einem Fuß auf den anderen. „Ich habe gehört, dass Vanessa zurück ist und Klavierstunden gibt. Mein Sohn Scott ist jetzt acht.“
Vanessa sah das Unheil kommen und versuchte es abzublocken. „Ach, eigentlich …“
„Annie Crampton ist hellauf begeistert von dir“, sagte Nancy hastig. „Ihre Mutter ist meine Kusine zweiten Grades, weißt du. Als ich darüber mit Bill sprach – Bill ist mein Mann –, waren wir der Meinung, dass Klavierstunden genau das Richtige für Scott wären. Montags gleich nach der Schule würde uns am besten passen, wenn du da nicht schon einen anderen Schüler hast.“
„Nein, weil …“
„Prima. Tante Violet sagt, du berechnest Annie zehn Dollar die Stunde. Stimmt das?“
„Ja, aber …“
„Das ist für uns erschwinglich. Ich arbeite halbtags. Scott wird um Punkt vier hier sein. Schön, dass du wieder da bist, Vanessa. Jetzt muss ich aber los, sonst komme ich zu spät zur Arbeit.“
„Fahr vorsichtig bei diesem Regen“, warf Loretta ein.
„Mache ich. Ach, und herzlichen Glückwunsch noch mal. Doc Tucker ist ein großartiger Mann.“
„Das ist er.“ Loretta unterdrückte ein Lachen, während sie die Tür hinter Nancy schloss. „Nette Frau“, bemerkte sie. „Kommt nach ihrer Tante Violet.“
„Ganz offensichtlich.“
„Ich sollte dich eigentlich warnen.“ Loretta stellte eine Tasse Tee auf den Tisch. „Scott Snooks ist die reine Pest.“
„Das habe ich mir gleich gedacht.“ Müde setzte sich Vanessa an
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