Die Sehnsucht der Smaragdlilie
noch einen anderen Grund haben, etwas, das er vor der reizenden Doña Elena verbarg. Etwas, weswegen er unbedingt diesem Treffen beiwohnen wollte. Er musste im Dienst von irgendjemandem stehen. Aber was war es, was er wirklich wollte?
Mehr denn je war Marguerite entschlossen, es herauszufinden.
8. KAPITEL
Was wollt Ihr heute Abend tragen, Madame?“, fragte Marguerites englische Zofe, die man ihr zur Verfügung gestellt hatte, und musterte nacheinander die Kleider in der Truhe.
„Hm?“, entgegnete Marguerite zerstreut. Sie saß vor ihrem kleinen Spiegel und schob rastlos Kämme und Töpfchen hin und her, während sie sich doch frisieren sollte. Wenn sie so weitermachte, würde sie nie rechtzeitig zum Bankett fertig werden! Dann würde sie im Hemd und in Strumpfbändern gehen müssen. „Was meinst du?“
Die Zofe betrachtete kritisch das Durcheinander von Kleidern und hob schließlich einen Rock und ein Mieder aus silberweißem Atlas hoch. „Dieses hier, Mistress! Und dazu die Ärmel aus dem goldenen Stoff.“
Es war eines von Marguerites besten Gewändern. Es hatte einen Besatz in Form eines Blumenmusters, das aus winzigen Kristallen gearbeitet war und eine silber- und goldfarbene Stickerei. Eigentlich hatte sie vorgehabt, es für das Abschlussfest ihres Aufenthalts in England aufzuheben. Doch sie erinnerte sich an Doña Elenas hübsche Begleiterinnen und dass die Duquesa beabsichtigte, Nikolai mit einer von ihnen zu verheiraten. Und Marguerite verspürte das wilde, völlig unvernünftige Bedürfnis, sie alle auszustechen. Sie wollte Nikolais Blicke auf sich ziehen und allein im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stehen. Sie gönnte ihn keiner dieser spanischen Gackergänse, die möglicherweise schöne Ehefrauen abgaben, aber nie und nimmer aufregend genug sein würden, um sein Interesse lange fesseln zu können.
„ Abruti !“, fluchte sie und warf einen Kamm so heftig auf den Tisch, dass einer der feinen Zähne abbrach. Was stimmte bloß nicht mit ihr? Sie wollte doch gar nicht, dass er ein Auge auf sie warf! Es würde ihre Arbeit nicht gerade erleichtern, wenn er sie beobachtete. Sollte er doch fünfzig dieser albernen spanischen Mädchen heiraten, das machte ihr doch nichts aus! Und wenn es hundert davon oder tausend wären – es würde ihr nichts anhaben können!
Marguerite presste die Hände an die Schläfen und spürte ihren Puls unter der Haut. Ihr war von Spionen berichtet worden, die unter der unablässigen Last ihrer Arbeit verrückt geworden waren, sich in tobende Irre verwandelt hatten, die man hatte wegsperren müssen, weil sie Freund und Feind nicht mehr unterscheiden konnten. War es das, was jetzt mit ihr geschah?
„ Non “, flüsterte sie.
„Madame? Stimmt etwas nicht?“, fragte die Zofe mit besorgter Stimme. Vermutlich erlebte sie es nicht allzu häufig, dass Hofdamen Wutanfälle bekamen, da die beherrschte englische Königin doch alle völlig unter Kontrolle hatte, dachte Marguerite.
„Nein. Ich denke, ich bin einfach nur müde“, antwortete sie fest. „Das Weiße ist genau das Richtige. Du hast ein gutes Auge.“
Während das Mädchen das Gewand bereitlegte, griff Marguerite nach ihrem Parfumflakon. Es war ein spezieller Duft, den der königliche Parfümeur für sie zusammenmischte. Von ihrem Vater wusste sie, dass ihre Mutter immer den Duft von Maiglöckchen benutzt hatte, und so benutzte Marguerite ihn auch. Seine leichte Süße schien sie zu erfrischen und ihr ungestümes Blut zu beruhigen.
Sie war einfach müde, das war alles. Die lange Reise und jetzt diese ununterbrochene Betriebsamkeit. Sie kam kaum noch zum Luftholen, geschweige denn zum Nachdenken. Und Nikolai war nichts als eine unerwartete Komplikation.
Sie musste zugeben, dass sie ihn nicht verstand, ihn nicht entschlüsseln konnte. Sie, die sich ihrer Menschenkenntnis rühmte und ihrer Fähigkeit herauszufinden, was andere antrieb, wonach sie sich sehnten, um sich dann dieses Wissen zu Diensten zu machen, sie hatte keine Ahnung, was Nikolai sich wünschte und was ihn hierher nach Greenwich gebracht hatte. Bei all seiner Unbeschwertheit, seiner scheinbar guten Laune, besaß er Tiefen, die ihr verschlossen blieben.
Außer, er war einfach nur wegen der spanischen Frauen hier …
Die Zofe hielt den weißen Rock hoch, und Marguerite stand auf und wandte sich von dem Spiegel und dem Durcheinander, das sie auf dem Toilettentisch angerichtet hatte, ab und ließ sich das Kleidungsstück über ihre Unterröcke und
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