Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Anziehungskraft seiner beeindruckenden Erscheinung erlegen. Nur einen Moment lang, doch lange genug, um ihr zu zeigen, welch charmante Gefahr dieser Mann für sie darstellte.
Welch ein Verlangen hatte sie gepackt, als er ihr die Hand entgegenstreckte und ihr anbot, es selbst einmal auf dem Seil zu versuchen! Das Verlangen, auch die Freiheit zu spüren, die er erleben musste, wenn er hoch über dieser schäbigen Welt schwebte. Es war ein Verlangen nach Dingen, von denen sie wusste, dass sie sie nie würde haben können.
Dieser Versuchung hatte sie widerstanden, der Versuchung, das Seil unter ihren Füßen zu spüren und seine Hand in der ihren. Doch ein dunkleres Begehren war zu überwältigend gewesen – sie hatte tatsächlich sein Haar berührt.
Aufstöhnend verbarg Marguerite das Gesicht in ihrem Buch, während sie Revue passieren ließ, was geschehen war. Dieses starke Bedürfnis, die kühlen, seidigen Haare des Russen auf ihrer Haut zu spüren. Als sie an diesem dämmerigen, staubigen Ort so dicht neben ihm stand, seinen Duft einatmete – diese reizvolle Mischung aus Kräuterseife und frischem Schweiß –, da hatte sie sich nichts mehr gewünscht, als die Arme um ihn zu schlingen und ihn zu küssen, bis sie beide in den heißen Fluten der Leidenschaft ertrinken würden.
Zu gut erinnerte sie sich an den Geschmack seines Mundes in Venedig, daran, wie sich seine Lippen auf ihrer Haut angefühlt hatten, die Erregung, die er mit seinen Zärtlichkeiten in ihr ausgelöst hatte. Sicher war er in der Liebeskunst genau so geschickt wie auf dem Seil.
Ja, einen Augenblick lang hatte sie sich vergessen und war dem Charme dieses verdammten Russen erlegen. Allein Sir Henrys Auftauchen hatte sie gerettet. Und als sie hörte, dass sie tatsächlich mit Nikolai würde zusammenarbeiten müssen, war sie geflohen.
„Du Närrin!“, murmelte sie. Sie durfte jetzt nicht schwach werden. Der Aufenthalt in England würde noch andauern, und sie brauchte all ihren Verstand und ihre Disziplin, ihn zu überstehen. Sie würde sich zusammenreißen und sich auf ihren Auftrag besinnen.
Denk daran, dass er dir deinen Dolch gestohlen hat, ermahnte sie sich streng. Sie musste ihn zurückbekommen und herausfinden, worin Nikolais Aufgabe bei den Spaniern bestand.
Sie schloss die Augen und stellte sich vor, eine Hülle aus reinem, weißen Eis bedeckte ihren Körper, ihren Verstand und ihr Herz und würde die Hitze und das Licht Nikolai Ostrowskis auslöschen. Als sie die Augen wieder öffnete, fühlte sie sich gefasster und vernünftiger.
Ihre Hände waren ruhig, als sie das Buch in ihren Schoß sinken ließ. Mit Leidenschaft und Erregung würde sie ihr Ziel nicht erreichen. Ihre Gefühle für Nikolai waren rein sinnlicher Natur. Ihr schwacher weiblicher Körper verlangte nach Befriedigung. Wenn sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte, würde sie diese Torheiten bald überwunden haben.
Marguerite hörte Gelächter und Stimmengewirr auf Spanisch. Als sie sich umdrehte, sah sie eine Gruppe von Damen auf sich zukommen. An der Spitze ging die Frau, die beim Bankett neben Nikolai gesessen hatte, die mit dem reizenden Lächeln. Dieses Lächeln zeigte sie auch jetzt, während sie sich Marguerites Bank näherte.
„Ah, Señorita, seid Ihr allein heute Nachmittag?“, fragte sie. Als sie vor Marguerite stehen blieb und ihre dunkelroten Röcke eine Wolke von Veilchenduft aufwirbelten, bemerkte Marguerite, dass sie älter war, als es den Anschein gehabt hatte. Winzige Linien umgaben ihre braunen Augen und ihre Lippen, und an den Schläfen zogen sich graue Fäden durch ihr Haar. Anscheinend war sie sehr reich. Sie trug ein schweres Kreuz aus Granatsteinen und Perlen und an den Ohrläppchen tropfenförmige Perlen. Also musste sie ein wichtiges Mitglied der spanischen Abordnung sein, entschied Marguerite. Aber ihre Augen hatten einen freundlichen Ausdruck.
Marguerite erhob sich und machte einen Hofknicks. „Ich lese, Señora …“
„Das ist die Duquesa de Bernaldez“, bemerkte eine ihrer Begleiterinnen streng.
Die Dame wischte die Worte mit einer Handbewegung fort. „Ich bevorzuge Doña Elena bitte, Esperanza.“ Sie flüsterte Marguerite ins Ohr: „Ich habe viele Jahre in einem stillen Kloster verbracht, müsst Ihr wissen, und habe mich noch nicht an die strenge Etikette gewöhnt, die meinem Gatten leider so gut zu gefallen scheint.“
Marguerite lachte erstaunt. „Ich selbst habe es auch lieber ein wenig ungezwungener. Ich bin Marguerite
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