Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Paare zurückwichen, um den beiden Platz zu machen.
Also, das musste jetzt die berühmte Anne Boleyn sein, dachte Marguerite. Lady Penelope hatte recht. Mistress Boleyn war nicht schön. Sie war klein und sehr dünn, und ihre Gesichtsfarbe war zu gelb, um je dem modischen Rosenteint zu entsprechen, der momentan so beliebt war. Ihr Haar war fast so schwarz wie der Nachthimmel draußen, dick, glatt und glänzend und wurde von einem juwelenbesetzten Band aus ihrem spitzen Gesicht gehalten. Aber wenn sie zum König aufblickte, sprühten ihre dunklen Augen vor übermütiger Keckheit.
Marguerite sah, dass sie etwas besaß, das tiefer ging als einfache Anmut. Sie hatte Stil und eine leichte, geschmeidige Grazie. Sie besaß Selbstbeherrschung und Selbstvertrauen. Sie betrachtete die versammelten Gäste, als würden sie ihr gehören, als stünden sie alle – Henry eingeschlossen – unter ihrem Kommando. Und der König seinerseits starrte sie an, als würde er sofort jedem ihrer Befehle gehorchen.
Non , Anne Boleyn war jemand, mit dem Marguerite lieber nicht aneinandergeraten wollte. Sie würde aufpassen müssen, dass sie ihr nicht in die Quere kam.
„Das muss die neue Hure des Königs sein“, hörte Marguerite eine leise, harte Stimme murmeln. Sie blickte auf und stellte fest, dass der Duque de Bernaldez sich zu seiner Gattin gesetzt und Pater Pierre seinen Platz eingenommen hatte. Der Priester betrachtete das Geschehen auf der Tanzfläche missbilligend.
„Das würde ich König Henry lieber nicht hören lassen“, warnte Marguerite ihn. „Ihr könntet Euch im Nu wieder auf dem Rückweg nach Paris befinden.“ Was gar nicht so übel wäre, überlegte sie, außer, dass das Ganze ein schlechtes Licht auf die gesamte französische Abordnung werfen würde.
„Warum denn? Sie wird bald genug wieder verschwunden sein, genauso wie Elizabeth Blount und Mistress Shelton.“
Marguerite ergriff ihren Kelch und nippte an dem Wein, dessen rubinrote Farbe an Blut erinnerte. „Was wisst Ihr von ihnen?“
„Ich weiß, dass sie nicht bei Hofe sind, obwohl Mistress Blount dem König einen Sohn schenkte. Wenn der König seiner Gespielinnen erst einmal überdrüssig ist, gibt es hier keinen Platz mehr für sie. Sie werden fortgeschickt und sind nur noch ein Ärgernis. Und so wird es auch Mistress Boleyn ergehen, genau wie zuvor ihrer Schwester.“ Pater Pierres Stimme war voll leiser, bitterer Gehässigkeit.
Marguerite schaute zu den Tanzenden. Mistress Boleyn bewegte sich sehr elegant. Sie sprang und lief, schnippte mit den Fingern und drehte sich so schwungvoll, dass ihre himmelblauen Röcke anmutig um sie herumwirbelten. Und Henry starrte sie hingerissen an, streckte die Hände nach ihr aus wie ein demütig betender Bittsteller nach dem Mantel der Heiligen Jungfrau. „Da bin ich mir nicht so sicher.“
„Nun, diese englischen Tänze sind ein einziges Rennen und Traben“, sagte Don Carlos lachend. „Kein bisschen graziös. Wir sollten ihnen zeigen, wie wirkliches Tanzen aussieht, querida .“
Marguerite blickte über die Schulter und bemerkte, wie Doña Elena ihr Lachen hinter ihrem Fächer versteckte. „Ich fürchte, die Tage, an denen ich mich auf die Tanzfläche wagte, sind lange vorbei.“
Ihr Gatte lächelte bedauernd. „Und meine ebenfalls.“ Er legte die Hand auf den Arm seiner Frau. Man konnte sehen, dass sie ein in tiefster Zufriedenheit vereintes Paar waren.
Marguerite empfand einen Stich im Herzen und sehnte sich danach, allein zu sein. Zum Teufel mit all diesen verliebten Paaren.
„Ich bin überzeugt, Señorita Dumas’ Tage des Tanzes stehen in voller Blüte!“ Doña Elena lächelte Marguerite aufmunternd an, als ahnte sie, was in der jüngeren Frau vor sich ging.
„Oh nein, Doña Elena“, protestierte Marguerite. „Mir liegt heute Abend nichts am Tanzen, und meine Kunstfertigkeit beim Saltarello ist nichts im Vergleich zu der von Mistress Boleyn.“ Sie fühlte Pater Pierres brennenden Blick auf ihrer Haut.
Doch damit wollte Doña Elena sich nicht begnügen. „Unsinn! Man sagt, die französischen Damen wären die besten aller Tänzerinnen. Es heißt, Ihr lerntet tanzen, sobald Ihr laufen könnt.“ Sie winkte mit der Hand und rief: „Nikolai! Kommt einen Moment hierher, ich brauche Euch.“
Don Carlos lachte und schenkte Marguerite ein verschwörerisches Augenzwinkern. „Meine Gattin, müsst Ihr wissen, lässt sich von nichts abbringen, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat. Wenn sie
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