Die Sehnsucht der Smaragdlilie
jedenfalls mein Vater immer. Er widmete sich seinen von Mehltau befallenen Weinstöcken. Meine Mutter führte den Haushalt, pflanzte schöne Rosen und wurde schwanger mit mir. Und dann starb sie.“
„Und was geschah dann mit der kleinen Prinzessin?“, fragte Nikolai leise.
„Ich fürchte, ich war ekelhaft gesund. Im Gegensatz zu den Reben meines Vaters wuchs und gedieh ich.“
„Und dein Vater? War er ein guter Mann, trotz seiner – Sorgen?“
Marguerite dachte nach. In Wahrheit hatte sie sich diese Frage noch nie gestellt. Ihr Vater war immer einfach ihr Vater gewesen. Und was machte einen guten Mann aus? Sie hatte viele Beispiele des Gegenteils kennengelernt, aber selten gute Männer.
Bis jetzt. Bis auf Nikolai, der sein eigenes Leben riskieren würde, um einem Freund zu helfen.
„Er war gut genug“, sagte sie. „Er hatte seine Schwächen, so wie wir alle, und am Ende waren sie sein Ruin. Doch ich bin mir sicher, dass er sich um mich kümmerte. Er tat es eben auf seine Art. Vielleicht, weil ich meiner Mutter ähnelte, wie er oft bemerkte. Als ich ein wenig älter war, engagierte er Hauslehrer für mich, wie sie Prinzessin Mary hat. Sprachen, Philosophie, Tanzen, Musik, Fechten. Auch brachte er mir alles über Trauben und Wein bei. Und er nahm mich zum ersten Mal mit an den Hof, als ich zwölf oder dreizehn war.“
„Um einen Ehemann zu finden?“
Marguerite lachte. „Wie sollte er? Ja, er war ein Edelmann, aber wir waren arm. Ein Weinberg voller Mehltau und ein Haus mit undichtem Dach waren meine ganze Mitgift. Vielleicht dachte er, ich würde den Ruhmesweg meiner Mutter gehen.“
Sie blickte auf und stellte fest, dass Nikolai sie immer noch ernst betrachtete. „Vielleicht wunderst du dich, warum ich es nicht tat?“, fragte sie.
Er zuckte die Achseln. „Ich kann kein Urteil fällen über die Wahl, die ein anderer in seinem Leben trifft. In meinem eigenen Leben habe ich zu oft sehr rätselhafte Wege eingeschlagen. Zumindest auf Außenstehende muss es so gewirkt haben.“
„Dein ganzes Wesen, Nikolai Ostrowski, ist ein Rätsel! Auf jeden Fall für mich.“
Er grinste sie an, und die Ernsthaftigkeit und das Mitleid, das sie von ihm nicht wollte, waren aus seinen Augen verschwunden. „Dann ist mir mein Vorhaben, dich zu faszinieren, ja gelungen.“
Das war es wirklich – und viel zu gut. „Meine Mutter, musst du wissen, gehörte nicht wirklich sich selbst, noch nicht einmal, als sie ihren Ruhm und Reichtum hinter sich ließ, um meinem Vater zu folgen. Sie widmete sich nur noch ihm, seinen Launen und Ideen. Sie gab alles auf, was sie sich in Paris aufgebaut hatte. Das wollte ich nicht. Und auf meine Art war ich ehrgeizig. Ich wollte in der Welt etwas erreichen, mehr sein als das bedauernswerte arme Mädchen, das mit irgendeinem Kerl verheiratet wird. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte.“
„Reben anbauen?“
„Vielleicht. Ich liebe Weingärten, die seltsame Alchemie, die aus einfachen Trauben guten Wein macht. Doch mein Vater starb, als ich fünfzehn war, und das Schloss wurde verkauft, um seine Schulden zu bezahlen. Mit dem Schmuck meiner Mutter ging ich allein zurück an den Hof. Bis auf ein Schmuckstück verkaufte ich alles und lebte eine Zeit lang von dem Geld.“
„Und wurdest die ‚Smaragdlilie‘.“
„Noch nicht gleich. Ich fühlte mich immer noch verloren, war unsicher. Ich war sechzehn, als ich den ersten Mann tötete. Er versuchte, mich im Garten des Schlosses von St. Cloud zu vergewaltigen. Glücklicherweise war er Holländer, ein verhasster Feind des Königs, und statt einer Schlinge um den Hals erhielt ich einen Säckel voll Gold und den Dank des Königs.“
Selbst diese simple Wiedergabe der damaligen Ereignisse hinterließ einen bitteren Geschmack wie von Asche in ihrem Mund. Marguerite erhob sich jäh und wandte sich von Nikolai ab, bevor sie den Ekel erblicken müsste, der jetzt sicher in seinem schönen Gesicht zu lesen war.
„Für heute ist Schluss mit der Geschichte“, rief sie, während sie zurück ins Theater eilte. „Wir sollten mit unserer Arbeit weitermachen. Die Zeit bis zur Aufführung wird knapp.“
„Liebe, die lebt und herrscht in meinem Denken, errichtet hat ihren Thron in meinem gefangenen Herzen …“
Nikolai lauschte nur halb dem Gesang des Chors der Königlichen Kapelle. Quer durch das vollbesetzte Theater beobachtete er Marguerite, die zusammen mit der Comtesse de Calonne und den anderen französischen Damen auf den Rängen
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