Die Sehnsucht der Smaragdlilie
mit Nikolais Hilfe auf ihm gelaufen. Es hatte sie gehalten und ihr das Gefühl von Freiheit gegeben.
Sie setzte sich auf und strich sich, gegen die Polster gelehnt, das wirre Haar aus dem Gesicht. Und da bemerkte sie, dass auf Nikolais Kissen etwas glitzerte. Es war ihr Dolch, der, den sie verloren, den ihr Nikolai in Venedig gestohlen hatte.
Langsam griff Marguerite danach. Halb fürchtete sie, der Griff könnte ihre Finger verbrennen. Doch das Metall war kühl und lag immer noch perfekt in ihrer Hand. Ein alter Freund, auf den sie sich einst so sehr verlassen hatte. Jetzt aber schreckte sie vor dem zurück, was er bedeutete.
Sie hob ihn auf der ausgestreckten Hand hoch und fand ihn immer noch leicht und elegant gearbeitet. Der Smaragd funkelte sommerlich grün. Er gehörte ihr oder besser gesagt der „Smaragdlilie“. Und die „Smaragdlilie“ war ein Teil von ihr, von dem sie sich nie trennen würde, wie sie auch nie ihre Treue gegenüber Frankreich und dem König würde brechen können.
Die „Smaragdlilie“ und Marguerite Dumas waren die beiden Hälften ein und derselben zerbrochenen Münze und würden immer zusammengehören. Selbst jetzt, da sie gemeinsam mit Nikolai angefangen hatte, von einem anderen Leben zu träumen, war ihr Schatten immer noch bei ihr.
Aber wenn sie wirklich seiner wert sein wollte, dann musste sie zuvor diesen Schatten vertreiben. Auch wenn sie dabei zugrunde gehen sollte.
Marguerite stieg aus dem Bett und sammelte ihre verstreuten Kleidungstücke ein. Hastig zog sie sich im dämmrigen Licht an. Sie steckte den Dolch zu dem Brief in ihrem Beutel und wickelte sich in ihren Mantel. Der Gang vor den Gemächern der Spanier war leer. Keine Anzeichen deuteten auf Nikolais Rückkehr hin. Schon bald würden Bedienstete durch die Korridore eilen, um ihre frühmorgendlichen Arbeiten zu erledigen, und der Palast würde zu einem weiteren Tag erwachen, an dem die Abgesandten sich damit beschäftigten, ihre weltlichen Ziele zu verfolgen.
Immer noch war Marguerite ein Teil des ganzen Spiels, ob es ihr gefiel oder nicht. Sie schuldete ihrem König die Treue, und sie musste ihre Aufgabe zu Ende bringen. Was dann danach geschah …
Sie wusste es nicht.
Marguerite lief in die Gärten hinaus. Sie brauchte frische Luft und wollte den verschachtelten Gängen des Schlosses entfliehen, in denen sie sich eingeengt und gefangen fühlte. Der leichte Wind war herrlich kalt und belebte ihre Sinne. Sie liebte die Nacht. Ihr war, als könnte sie sich in ihren tintenschwarzen Schlünden verstecken, um nie mehr gefunden zu werden. Besonders liebte sie diese Zeit kurz vor dem Morgen, wenn es so still und einsam war wie jetzt, als ob sie der einzige Mensch auf Erden wäre.
Einen Augenblick lang wünschte sie sich, Nikolai wäre hier, würde ihre Hand halten und diese wunderbare, vollkommene Stille mit ihr teilen. Würde mit ihr rund um die schlummernden Blumenbeete tanzen, sie zum Lachen bringen und sie wieder fliegen lassen.
Marguerite eilte um eine große Hecke und sah in der Dunkelheit eine Gestalt vor sich aufragen. Einen Moment lang glaubte sie, es wäre Nikolai, den ihre Träume herbeigezaubert hätten, und ihr Herz tat einen Sprung vor Freude. Die Freude legte sich rasch, als sie erkannte, dass die Gestalt keine goldene Mähne, sondern kurz geschnittenes dunkles Haar besaß und zu dünn war, um Nikolai zu sein. Marguerite machte einen Schritt zurück und nahm eine geduckte Kampfhaltung an.
Bevor sie sich aber davonschleichen und fortlaufen konnte, rief die Gestalt leise: „Madame Dumas! Wartet!“
Pater Pierre . Natürlich war er es. Seit sie in Greenwich angekommen waren, schlich er um sie herum. Nein, vorher schon, seit Fontainebleau. Ständig beobachtete er sie und schien etwas von ihr zu erwarten, von dem sie nicht die geringste Ahnung hatte, was es sein könnte. Er war wie eine immer wieder auftauchende, schicksalsträchtige schwarze Krähe.
Marguerite richtete sich auf und tastete nach dem Beutel, der den Dolch enthielt. Sie war darauf vorbereitet wegzurennen oder zu kämpfen, aber Pater Pierre sagte: „Ich weiß, dass Ihr es seid. Ich sah Euch zu den spanischen Gemächern gehen. Ich habe gewartet, dass Ihr herauskommt.“
„Ihr seid mir hierher gefolgt?“, sagte Marguerite mit gepresster Stimme. Unter dem Schutz ihres Umhangs löste sie die Schnüre des Beutels. Ihre Finger berührten den kalten Griff. „Weshalb?“
„Ich wache schon während der ganzen Reise über Euch“, antwortete
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