Die Sehnsucht der Smaragdlilie
Immer rund ums Bett herum. Der beständige Rhythmus half ihr, sich auf ihre Gedanken und Gefühle zu konzentrieren, die völlig durcheinandergeraten waren, nachdem sie Pater Pierre verlassen hatte. Im heftigsten Krieg ihres Lebens musste sie jetzt einen Schlachtplan entwerfen. Und Kriege wurden nie mit fiebriger Leidenschaft, sondern immer nur mit kalter, klarer Überlegung gewonnen.
Claudine und ihre Begleiterinnen waren zu Königin Katharina gegangen, um Karten zu spielen, und hatten Marguerite allein zurückgelassen, als diese Kopfweh vorschützte. In ihrer stillen Kammer badete Marguerite und kleidete sich dann in ihr dunkelstes Gewand aus schwarzem Samt. Ihr einziger Schmuck war der Diamant ihrer Mutter, den sie unter dem hohen Kragen des Mieders verbarg. Jetzt war nicht die Zeit für rote Seide und Perlenketten! Sie brauchte eine starke Rüstung.
Jetzt galt es, Beweise dafür zu sammeln, dass Pater Pierres Worte der Wahrheit entsprachen und keine Falle waren. Sie musste herausfinden, was ihre Feinde als Nächstes planten. Dann musste sie sich Verbündete suchen. Wenn sie überhaupt mehr Verbündete haben sollte als nur einen von Schuldgefühlen verwirrten, überreizten Priester.
Marguerite lachte reumütig. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Pater Pierre, dessen Gegenwart ihr immer unangenehm gewesen war, sich am Ende als ihr Freund erweisen würde? Dass seine Liebe zu ihr ihn dazu bringen würde, den Comte zu verraten und auch seine eigene Stellung bei Hofe? Trotzdem durfte sie Pater Pierre nicht völlig vertrauen. Selbst wenn er die Wahrheit sagte, so schien er doch zu sprunghaft, zu unberechenbar zu sein. Was, wenn seine Gewissensbisse ihn dazu verleiteten, alles dem Comte zu beichten?
Und der Comte – wieso hatte sie sich von seinem freundlichen Verhalten täuschen lassen, von seinem fröhlichen Benehmen und seiner leutseligen Art? Er war wirklich ein guter Schauspieler. Sicher konnte er mit Nikolai konkurrieren, sollte er sich auf die Bühne stellen. Vielleicht steckte hinter Claudines Übellaunigkeit auch mehr als nur ihre Schwangerschaft.
Gewiss hatte Marguerite es an Vorsicht fehlen lassen, doch das war nun vorbei. Nun war sie vorgewarnt, und sie würde jetzt nicht zu besiegen sein. Nicht, wenn sie etwas besaß, für das es sich zu leben lohnte.
Sie öffnete ihre Hand und beobachtete, wie das Sonnenlicht den Schlüssel aufblitzen ließ. War es der Schlüssel zur Wahrheit? Der Schlüssel zu ihrer Zukunft?
Sie wirbelte herum, eilte aus ihrer Kammer und durchquerte Claudines Gemach. Auf den Tischen lagen noch verstreut die Reste des Morgenmahls, Brotkrumen und leere Bierbecher. Bald würden die Diener kommen, um alles fortzuräumen und die Schlafräume zu säubern. Die Zeit drängte also. Vorsichtig stieß Marguerite die Tür auf, die in das Gemach des Comte führte.
Das Bett war noch nicht gelüftet, und Stühle und Truhen waren mit abgelegten Kleidern bedeckt. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass sich wirklich niemand in der Nähe befand, und nachdem sie sich ein Versteck gesucht hatte für den Fall, dass sie gestört würde, schob sie die herunterhängenden Betttücher beiseite und kniete sich nieder, um einen Blick unter das Bett zu werfen. Da war die Truhe, genau wie Pater Pierre gesagt hatte. Ein fester, eisenbeschlagener Behälter für Dokumente von außerordentlicher Wichtigkeit.
Sie zog ihn hervor und setzte sich auf den Boden, um das Schloss zu inspizieren. Das breite Bett verdeckte sie. Die Truhe war eine hervorragende Arbeit, mit Sorgfalt hergestellt und von der Art, die selbst für eine Expertin wie Marguerite nur sehr schwer aufzubrechen war. Glücklicherweise hatte Pater Pierre ihr den Schlüssel gegeben!
Bald war die Truhe geöffnet. Obenauf lagen etliche schwere Beutel mit Münzen, die sie herausnehmen musste, um an ein Fach für Briefe und Dokumente zu gelangen. Die ersten Schriftstücke enthielten Anweisungen, wie die Verhandlungen mit König Henry zu führen seien und welche Mitglieder des englischen Hofs den Franzosen wohlgesinnt waren und welchen man nicht vertrauen konnte. Dann, zum Schluss, fand Marguerite, was sie suchte.
Es war ein Brief von König François. Er war nicht unterschrieben, aber sie kannte seine Handschrift gut. Wie oft hatte sie selbst genau solche Briefe erhalten?
Was die infrage kommende Dame betrifft, so stellen wir sie durch diese Reise mit Euch endgültig auf die Probe. Nach Venedig können wir uns ihrer Kompetenz und ihrer Treue nicht
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