Die Sehnsucht der Smaragdlilie
blühen konnte.
Nikolai suchte in dem Kleiderhaufen, bis er ihren Beutel fand, in den sie die Nachricht gesteckt hatte, und zog sie heraus.
Gefahren lauern …
Es gab also jemanden, der sie warnen wollte. Wollte, dass sie wachsam war. Doch da diese Person ihre wahre Identität nicht preisgeben konnte, war sie selbst sicher nicht mächtig. Sie fürchtete um ihr eigenes Leben oder ihre Stellung. Nikolai und Marguerite mussten sich selbst schützen. Doch sie beide waren ernst zu nehmende Gegner, die sich nicht so leicht einschüchtern ließen.
Als er Marguerite während ihres Wundfiebers gepflegt hatte, hatte er geschworen herauszufinden, wer ihr das angetan hatte. Geschworen, sie zu beschützen. Jetzt spürte er, dass die Zeit knapp wurde und dass ihr unsichtbarer Feind näher kam. Sie mussten vorbereitet sein.
Nikolai legte den Brief zurück und öffnete die Kleidertruhe in der Ecke. Dort, verborgen unter Hemden und Westen, lag der Dolch der „Smaragdlilie“.
Er holte ihn hervor, drehte das Heft in seiner Hand und beobachtete, wie der schöne Smaragd im Kerzenlicht funkelte. Wie hatte sich alles zwischen ihnen entwickelt seit jener Nacht in Venedig, als Marguerite versucht hatte, ihn mit dieser Klinge umzubringen! Wer hätte sich damals vorstellen können, dass er eines Tages schwören würde, sie zu beschützen? Dass sie ihm alles bedeuten würde?
Er blickte sie wieder an. Auf der Seite liegend, schlummerte Marguerite immer noch friedlich. Sie brauchte ihren Schlaf und ihre Kraft, um sich dem zu stellen, was vor ihr lag. Aber er kannte ihre Entschlossenheit, und er wusste, sie konnte gegen jeden Feind kämpfen, auf den sie treffen würde. Und sie würde ihre Feinde nicht allein bekämpfen müssen. Nie wieder.
Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, legte er den Dolch auf sein eigenes Kissen. Die Klinge schimmerte auf dem weichen Stoff, als merke sie, dass sie endlich heimgekehrt war. Sie würde über Marguerite wachen, während er sich um alles kümmerte, Verbündete zusammentrommelte und einen Schlachtplan entwarf.
Und sehr bald würde sie sich nicht mehr fürchten müssen. Das versprach Nikolai ihr.
23. KAPITEL
Als würde sie durch unergründliches, eisiges Wasser schwimmen und nach der hellen Oberfläche streben, obwohl sie sich nach den dunklen Tiefen sehnte, tauchte Marguerite langsam aus ihren Träumen auf. Schnell kroch sie tiefer unter die Decken und tastete nach Nikolai.
Doch er war verschwunden, und sie spürte, wie die kalte Leere sich wieder in ihr ausbreitete. In der Kammer herrschten frostige Temperaturen, und sie fror trotz der Decken. Sie schlang die Arme um ihren Körper und fragte sich gereizt, wo die Magd blieb, um Feuer zu machen. Und bestimmt würde Claudine bald nach ihr schicken, um einen weiteren nörglerischen Tag zu beginnen …
Dann fiel ihr wieder ein, dass sie sich ja gar nicht in ihrem eigenen Gemach befand, nicht in ihrem eigenen Bett, sondern in Nikolais, wohin sie gekommen war, um Zuflucht zu suchen.
Sie schlug die Bettdecken zurück und richtete sich auf, um festzustellen, dass sie allein war. Das Feuer auf dem Rost war erloschen, die Kerzen heruntergebrannt, und der Himmel draußen vor dem Fenster war dunkelgrau. Schwaches Licht kündigte den Anbruch der Dämmerung an.
Gewiss war Nikolai gerade zum Abort gegangen oder holte Kerzen und würde sicher bald wieder an ihrer Seite sein. Doch Marguerite fühlte sich seltsam beraubt, als sie wieder unter die Decke schlüpfte, wie zurückgelassen auf einem großen, weiten Meer.
Etwas hatte sich heute Nacht unwiderruflich verändert, etwas zwischen ihr und Nikolai, etwas in ihr drinnen. Sie hatte sich ihm anvertraut, ihm den Brief gezeigt, ihm von ihren Ängsten erzählt, wobei sie sich doch immer nur auf sich selbst verlassen, nur sich selbst vertraut hatte. Und doch hatte sie ihm ihr Innerstes offenbart, und es fühlte sich richtig an. Selbstverständlich.
Dann hatten sie sich geliebt, so liebevoll und zärtlich, dass ihr bei der Erinnerung daran ganz warm wurde. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, ihren Körper von ihrem Herz und ihrem Verstand zu trennen. Vergangene Nacht, in seinen Armen, war sie mit Nikolai verschmolzen – noch nie hatte sie sich in ihrem Leben irgendjemandem so nahe gefühlt.
Jetzt, da er sie verlassen hatte, spürte sie wieder die Kälte und die Ungewissheit. Sah den Abgrund, der vor ihr gähnte.
Und sie erinnerte sich an das Seil. Wie dünn und wenig belastbar hatte es gewirkt, und doch war sie
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