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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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heute abend verabredet - und ich finde es schön, nicht so ganz alleine zu sein! Ein bißchen was von der Weggemeinschaft bleibt mir erhalten.
     
    22.00 Uhr
    Es wurde ein netter Abend. Der Schweizer tauchte plötzlich mit zwei Frauen aus Deutschland auf, die er unterwegs kennengelernt hatte, Traute und Isabell. Er selbst hat sich früh ins Bett verzogen, wir drei Frauen gehen noch miteinander essen. Traute ist den Weg letztes Jahr schon einmal gegangen. Und als ich frage, warum sie ihn wieder geht, zuckt sie nur mit den Schultern - das frage sie sich selbst auch.
    Als sie mich fragen, warum ich unterwegs bin, erzähle ich von meiner »Lebensstufe«, meinem Übergang, dem bevorstehenden Theologiestudium, meinem Engagement in der Kirche. Und als ich im Gegenzug Isabell »interviewe«, erzählt sie, daß sie Buchhändlerin ist und aus der Kirche ausgetreten sei. Sie interessiert der Weg vor allem kunsthistorisch. Nach einer kurzen Pause fragt sie, was es denn mit mir mache, daß sie aus der Kirche ausgetreten sei. »Nichts«, sage ich, ich könne verstehen, daß manche Menschen aufgrund ihrer Lebensgeschichte und ihrer Situation Kirche nicht gerade als befreiend erlebt haben und deshalb die Konsequenzen gezogen haben. Aber die Antwort stimmt nicht so ganz - es macht mir doch was.
    Ich finde es schade, daß vor lauter Kirche mit ihren manchmal so einengenden Strukturen und Aussagen die befreiende Kraft des Glaubens nicht bei den Menschen ankommt. Kirche ist Mittel und Weg zum Ziel, soll Weg zu Gott sein, und läßt sich nur verstehen auf Gott hin. Und es macht mich traurig, daß Kirche immer wieder als Hindernis auf eine solch lebendige Beziehung zu Gott hin erlebt wird. Ich spüre bei vielen Menschen eine Sehnsucht nach dem Religiösen - und höre immer wieder, daß das konkrete Erleben von Kirche dem entgegensteht. Manchmal frage ich mich inzwischen aber auch, ob die Auseinandersetzung mit der Kirche vielleicht als Vorwand genommen wird, Gott nicht an sich heranzulassen - denn das könnte ja Konsequenzen auf das eigene Leben haben...
    Jetzt bin aber auch ich neugierig geworden und frage, wie sie denn die Begegnung mit den vielen Kirchen und christlichen Elementen am Weg erleben würde? Oh, sie liebe Kirchen - und vor allem die romanischen und gotischen -, und sie liebe dieses Hinaufstrebende. Und drei Sätze später sagt sie so ganz nebenbei: Eigentlich beneide ich die Menschen, die so stark im Glauben verwurzelt sind...
     
     

Freitag, 30.5.
     
     
    Puente la Reina, 10.40 Uhr
    Irgendwie - bei den Gottesdiensten hier hab ich immer das Gefühl, daß der Priester direkt anschließend noch was ganz Dringendes und Wichtiges vor hat. Das Ganze geht in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vor sich. Trotzdem - die Gottesdienste sind in diesen Tagen ein wichtiger Halt für mich.
    Spirituell fühle ich mich ein bißchen allein auf diesem Weg - ich überleg grad, ob eher das Wort »allein« oder das Wort »einsam« stimmt. Aber einsam fühl ich mich in meiner Beziehung zu Gott nicht, wirklich eher allein. Welche Erwartungen habe ich denn da gehabt? Mehr solcher Gespräche wie am Sonntagabend mit Neville? Das gemeinsame Gebet wenigstens vor dem Essen? Daß man diejenigen, die hier auf dem Weg sind, auch mal in einer Kirche sieht - und zwar betend und nicht nur die Kirche als Kunstwerk betrachtend? Spirituell bin ich grad Selbstversorger...
    Draußen scheint die Sonne, in der Nacht hat es geregnet, die Schwüle ist weg. Es ist optimales Wanderwetter - und ich freu mich für die anderen, die heute auf dem Weg sind.
     
    Puente la Reina, 13.00
    Ich habe mich an der Brücke eingerichtet und lese und schreibe. Neben mir rastet eine französische Pilgergruppe und macht Mittag. So, wie sie aussehen, gehen sie heute garantiert noch bis Estella. Ein bißchen weh tut es schon noch.
    Inzwischen habe ich immerhin die Telefonnummer eines deutschsprechenden Arztes in Pamplona. Zurück nach Pamplona mag ich eigentlich nicht mehr - aber wenn nochmal was wäre, könnte man ihn immerhin anrufen und um Übersetzung bitten. Wie mag das wohl früher für einen Pilger gewesen sein, wenn er krank wurde, die fremde Sprache nicht verstand, den Anschluß an die vertraute Reisegruppe verloren hat? Heute ruft man problemlos beim ADAC an und bekommt die gewünschte Auskunft, man legt Krankenkassenkarte und Auslandskrankenschein vor und kommt mit einem Verband wieder heraus, man steckt eine Karte ins Telefon, wählt ein paar Nummern und kann sich

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