Die Sehnsucht ist größer
weiß...
Frómista ist ausgesprochen hübsch, die Menschen hier sehr freundlich. Zur Abwechslung habe ich Abschied genommen vom einfachen Pilgerleben - und bin ins Hotel gezogen. Einmal nicht Schlangestehen an der Dusche, endlich mal wieder Platz haben, um den Rucksack ganz auszupacken und neu zu sortieren, ein Zimmer für mich alleine,...
Frómista, 15.30 Uhr
St. Martín ist die erste Kirche auf dem Weg, die mich sehr berührt hat. Es ist eine Kirche - und kein Museum. Die romanischen Formen sind schlicht und anrührend, klar und rein, ein schönes Kruzifix, eine interessante Pilgerfigur. In dieser Kirche fühle ich mich geborgen - und da hat auch die Vesper einen passenden Ort gehabt, endlich einmal.
Frómista, 19.30 Uhr
Als ich mir im Refugio den Stempel abholte, wurde ich mal wieder fein säuberlich registriert. Verloren gehen kann man hier als Pilger wirklich nicht - alle Spuren sind nachvollziehbar.
Auf der Straße kam mir ein »Pilger« entgegen, hoch bepackt und mit »walk-man«. Er fragte mich, wo das Refugio sei - und als ich antwortete, merkte er erst, daß er die Ohrhörer und seine Musik noch auf den Ohren hatte. Insofern ist der camino durchaus in einem guten und alten Sinne »katholisch« - es gibt nichts, was es nicht gibt.
Heute abend in Frómista bin ich wieder allein, andere, fremde Pilger. Es ist schön, mit Doris und David, Therese und Francois abends zusammen zu sein - aber ich muß meinen Weg gehen -, das kann auch heißen, von ihnen Abschied zu nehmen. Mir wird deutlich, daß Pilgern heißt, sich an nichts Irdischem so festzumachen, daß dabei der Blick auf das Ziel verloren geht.
Plötzlich kommt mir wieder das gestrige Sonntagsevangelium in den Sinn: »Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Schwestern und Brüder?« Und ich ahne ein bißchen was von der Wahrheit dieser so herben Schriftstelle. Wer sich für den Weg entscheidet, geht ihn letztendlich allein - Weggefährten mögen hilfreich und wichtig sein, aber sie nehmen das Gehen nicht ab. Und manches muß alleine gegangen sein, da stören andere nur. Könnte es sein, daß ein Gehen auf Gott hin auch eine gewisse Einsamkeit mit sich bringt - bei aller Gefährtenschaft? Daß Entschiedenheit auch ein bißchen einsamer macht?
Frómista, 21.00 Uhr
Irgendwas ist anders geworden...
Es mag sich verrückt anhören - aber ich laufe anders, ich stehe anders -, und irgendwas in mir ist weicher geworden. Fast hab ich das Gefühl, als ob etwas Erstarrtes, Verkrustetes neu ins Fließen gekommen ist, sich neu ordnet...
Eben im Gottesdienst hätte ich fast schon wieder weinen können. Das war ganz schön, ein sehr ansprechender Kirchenraum, ästhetisch wunderschön gestaltet, einzelne Kunstwerke, sicher unterschiedlicher Güte, eine faszinierende Kombination von Holz und Stein, von neu und alt. Ein junger Priester, der die Messe nicht lieblos herunterlas, sondern mit dem Herzen dabei war, während der Kommunion wurde Musik eingespielt - das ging mir sehr nah.
Anschließend hab ich mich in die Bar gegenüber gesetzt -und wußte, es ist richtig, daß ich heute abend nicht im Refugio bin. In der Stimmung kann und darf ich nur wenige und weniges an mich heranlassen - da bin ich sehr weich und verletzbar.
Frómista, 22.00 Uhr
Die Streckenaufteilung für die nächsten Tage paßt hinten und vorne nicht. Die offiziellen Etappen treffen mit teilweise kleinen Refugios zusammen in Orten ohne sonstige Unterbringungsmöglichkeiten. Ich geb das Planen jetzt schlichtweg auf und geh morgen früh einfach los. Und ich vertraue einfach, daß es sich im Gehen eher klären wird als im Sitzenbleiben und Nachdenken. Und eigentlich kenne ich das ja auch gut: Manchmal bleibt alle Planung Theorie und wird durch die aktuelle Situation vollkommen über den Haufen geworfen. Ich weiß nicht, wie morgen das Wetter sein wird, wie ich körperlich drauf bin, wie es sich läuft...
Im Gottesdienst heute abend gab es zwei schöne Schriftstellen: der Anfang des zweiten Korintherbriefes - »Wer Anteil hat am Leid, hat auch Anteil am Trost« - und die Seligpreisungen.
Selig, wer nicht mehr als nötig und möglich vorausplant, er wird...?
Wenn ich aufbreche und losziehe, wer oder was ist dann eigentlich dieser Gott für mich? Ein Gott, der mitten in allem Wandel bleibt, ein Gott, der sich mitwandelt - ein im Wandel bleibender Gott, ein sich im Bleiben wandelnder Gott? »... und hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen« - die Zeile aus dem Johannes-Prolog in
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