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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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Bar hinein. Er ist Holländer und macht den Weg schon zum siebtenmal. El camino, das ist wie eine Droge, sagt er. Aber jedesmal wäre es ein bißchen weniger, was den camino ausmacht, er würde zunehmend kommerzialisiert, sei nicht mehr das, was er noch vor sieben Jahren gewesen sei.
    Ob ich auch den Umweg über Itero del Castillo gemacht hätte? Er wüßte jetzt, warum die Markierung dort oben anders war als im Führer angegeben. Ich schaue ihn fragend an. Ja, der Bürgermeister habe die Markierung geändert, damit die Pilger auch durch seinen Ort hindurch kämen. Und genau das meine er mit der Kommerzialisierung. Der Weg würde verzweckt. Ich kann nur den Kopf schütteln - das Dorf hat doch überhaupt nichts von den Pilgern - es gibt dort keine Bar, kein Geschäft. Im Gegenteil, die Pilger ärgern sich, wenn sie plötzlich im Ort stehen, keine Markierung mehr vorfinden, sich mühsam durchfragen müssen, um dann festzustellen, daß sie ganz umsonst zwei oder drei Kilometer gelaufen sind.
    Und irgendwie, das ist doch ein Weg, der als Kulturdenkmal ausgezeichnet wurde - da kann doch nicht einfach ein Bürgermeister eines kleinen nordspanischen Dorfes - doch, er kann. Und eigentlich durchaus erfolgreich. Normalerweise wäre ich an diesem Ort vorbeigelaufen - so aber schreibe ich jetzt schon eine halbe Seite darüber...
    Piet kam übrigens aus der gleichen Motivation in dieses Refugio wie ich - weil es so einfach ist, ist es bei den Pilgern nicht sehr begehrt. Einen ruhigen Nachmittag haben wir jetzt schon mal gehabt - und einen wunderbaren Mittagsschlaf! Und plötzlich denke ich, auch das kann beim camino Sonntag bedeuten: Halbe Etappe, gut zu Mittag essen, ein Rotwein - und dann ganz einfach schlafen.
    Heute bin ich übrigens noch einer neuen Sorte Hund begegnet, dem Pilgerhund. Drei andere Arten habe ich bisher kennengelernt: die großen Hunde, die sich fast umbringen, wenn man vorbeizieht - aber die sind in aller Regel an der Kette. Auch spanische Hundebesitzer haben keine Lust, dauernd irgendwelche Arztrechnungen zu bezahlen, nur weil ihr Hund schon wieder einen Pilger angefallen hat. Dann gibt es die Sorte der kleinen Kläffer - sie sind ein bißchen unangenehm, weil sie grundsätzlich hinter einem kläffen und man nicht sehen kann, was sie denn nun eigentlich Vorhaben. Aber in dem Moment, wo man sich umdreht und sie scharf anspricht, weichen sie auch schon wieder einen Schritt zurück. Sie tun nur so, als ob... und dann gibt es die liebebedürftigen Hunde, die sich mit eingezogenem Schwanz nähern, und um ein Streicheln, ein liebes Wort betteln. Achja - und die Arbeitshunde noch, die treu und gewissenhaft die Herden hüten.
    Am Ortsausgang von Itero de la Vega gibt es eine halbhohe Steinmauer - und die Abfälle dahinter sprechen leider eine deutliche Sprache davon, daß hier häufiger Pilger rasten. Ich hielt auch dort an, nachdem ich zuerst die Bar nicht gefunden hatte, und suchte etwas im Rucksack. Und da kam er an, eine kleine braune Handvoll Leben, stellte sich erwartungsvoll neben mich, und schaute abwechselnd mich und den Rucksack an. Ich glaube, wenn ich irgendwas Eßbares dabei gehabt hätte - die Taktik hätte funktioniert.
     
    Itero de la Vega, 21.00 Uhr
    Es ist seltsam - immer wieder schießt mir beim Gehen irgendwas blitzartig durch den Kopf: Ach, das hattest du noch aufschreiben wollen - und schon ist es auch wieder vorbei. Manchmal ist sogar das Gehen zu schnell, um mit allen Eindrücken fertig zu werden. Manchmal muß man, wie heute nachmittag, einmal bleiben, um überhaupt halbwegs hinterherzukommen.
    Ich erlebe die Spannung sehr lebendig in mir, alleine zu gehen, diesen Eindrücken im Tagebuch schriftlich Ausdruck zu geben - und mich dann mit anderen darüber auszutauschen, zu erzählen, Gemeinsames und Bestätigendes zu entdecken, aber auch Unterscheidendes. Aber je intensiver der Austausch, umso weniger bleibt für das Schreiben - es ist ja schon gesagt. Das finde ich spannend - wie notwendig braucht auch mein Schreiben daheim das Allein-Sein? Schreibe ich, weil ich viel allein bin? Schreibe ich, obwohl ich allein bin? Bin ich gerne allein, weil ich schreibe? Kann ich so gut allein sein, weil beruflich immer viel Menschen um mich herum sind? Wirkt sich eine bestimmte Arbeit möglicherweise auch auf die Lebensform aus? Zieht eine gewisse Lebensform eine andere Arbeit an sich? Und wie wirken sich intensiv gelebte Beziehungen auf die Arbeit und bei mir auch auf das Schreiben aus? Ich bin mir noch

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