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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schwarz
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Sonne ins Gesicht, strahlendblauer Himmel, keine Wolke am Himmel zu sehen.
    Eincremen, anziehen, packen - und dann mit Rucksack in den Gottesdienst. Und wirklich, jeder Gottesdienst hat hier was ganz Eigenes. Die Klarissen hier sind in Klausur. Wir sind zu dritt im großen Kirchenschiff, und hinter einem Gitterfenster an der Rückseite der Kirche sind die Ordensschwestern. An diesem Gitterfenster steht ein kleiner Holzaltar und der Priester zelebriert dort mit Blick auf die Schwestern, mit dem Rücken zu uns. Die Kirchenbänke stehen für uns drei damit verkehrt herum, wir müssen uns mit Sitzen, Stehen, Knien etwas umständlich umarrangieren. Aus dem Hintergrund vernehme ich die Stimmen der Schwestern, kann aber nichts sehen. Ich bin gespannt, wie es bei der Kommunion gehen würde. Kurz vorher schließt eine gesetzt wirkende, ältere Schwester irgendein Schloß auf und klappt einen großen, schweren Türflügel zurück, der sich vor das Gitterfenster schiebt. Der Priester nimmt die Hostienschale, öffnet an der Kirchenwand eine Tür, die mir vorher gar nicht aufgefallen war, und tritt in ein kleines erleuchtetes Kämmerchen, blau-golden tapeziert, mit zwei Bildchen darin. Und es öffnet sich eine kleine Luke in Gesichtsgröße - und nach und nach erscheint darin das Gesicht einer Nonne, die die Mundkommunion empfängt und dann wieder verschwindet. Es rührt mich irgendwie seltsam an. Irgendwas Numinoses, Geheimnisvolles ist damit verbunden, vielleicht auch Archaisches.
    Mir geht das Evangelium nach, das ich heute morgen noch schnell auf deutsch nachgelesen habe. Es ist die Stelle der Aussendung der Jünger: Nehmt nichts mit auf den Weg, keine Vorratstasche, kein Geld, kein zweites Hemd! Und das gerade heute, wo der Rucksack sicher 13 oder 14 kg hat - 2 Liter Wasser, Lebensmittel für tagsüber und abends. Nun gut, ich werde nachher 18 einsame Kilometer haben, um darüber nachzudenken.
    Inzwischen hat sich der Himmel bezogen, es sieht sehr nach Regen aus. Also doch bis 10.00 Uhr warten, bis die Geschäfte öffnen, und noch eine Regenjacke kaufen?
    Meine Versuche daheim, die Gore-Tex-Jacke zu imprägnieren, haben sich in den letzten Tagen doch als ziemlich unzureichend erwiesen.
    Im Zweifelsfall frühstückt man zuerst - mit einem Kaffee und einem Croissant lassen sich Entscheidungen besser treffen.
    Als ich in der Bar sitze, glaube ich meinen Augen nicht zu trauen - da kommt doch Therese über die Straße, die ich drei oder vier Tage vor mir wähnte. Tatsächlich - sie ist es! Wir begrüßen uns sehr herzlich, sind beide froh, einander zu sehen und zugleich ein bißchen überrascht. Sie ist in Frómista krank geworden, hat sich eine Infektion geholt und muß drei Tage pausieren. Der Arzt hat Antibiotika verschrieben - und eine Gruppe pilgernder spanischer Krankenschwestern, die mit ihr im Refugio in Frómista waren, hat sich rührend um sie gekümmert und sie auch mit dem Auto nach Carrión gefahren. Von hier aus will sie nachher mit dem Bus nach Mansilla fahren, dort hat sie sich mit Francois verabredet, der weitergelaufen ist. Und gerade vor zehn Minuten hat sie meine Adresse in ihr Notizbuch übertragen und noch gedacht, wo ich wohl sein möge.
    Wir sind uns beide darin einig, daß diese Krankheiten ein wichtiges Signal des Körpers sind »to slow down«, das Tempo herauszunehmen. Und es ist schon überraschend, wie viele auf diesem Weg krank werden, Blessuren haben, die sie zum Innehalten zwingen. Und wenn man das so sieht, dann macht es wirklich keinen Sinn, es dem Körper noch schwerer zu machen, indem man sich dagegen auflehnt, sondern dann ist es ratsamer, sich in die Krankheit hineinzugeben und die Botschaft des Körpers zu verstehen zu versuchen.
    Heute fährt also nun Therese mit dem Bus - und ich wandere weiter. Schon seltsam, wie sich das alles umdreht. Ich habe ihr den »Kleinen Prinzen« geschenkt, den ich in Puente gekauft habe, und in den ich seitdem doch nicht reingeschaut habe. Sie hat im Moment viel Zeit und hat sich sehr darüber gefreut. Sie hat ihn das erste und einzigemal vor sechs oder sieben Jahren gelesen - und ich kann mir denken, daß sie ihn jetzt anders lesen wird. Da hat mich meine Ahnung nicht getrogen: Irgendwann, irgendwo würde ich dieses kleine Büchlein sinnvoll verschenken können. Das war zwar nicht der Grund, warum ich es gekauft habe, aber immerhin der Grund, warum ich es nicht einfach irgendwo liegengelassen habe.
     
    Calzadilla de la Cueza, 16.30 Uhr
    Das war ein ganz,

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